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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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Kutte einen Glanz, der seine normalen Auftritte, in denen er in Brokat und Seide gehüllt war, in den Schatten stellte.
    Tamaskana hatte keine Zeit mehr zu verlieren und entfernte sich von der Menschenmenge. Nach ein paar Schritten bog sie in eine Seitengasse ab und schlug einen Haken, um der Parade der königlichen Soldaten und Würdenträger auszuweichen. Die aufgehende Sonne hatte die Dunkelheit aus den engen Gassen noch nicht vertrieben, aber hinter den Mauern hörte sie bereits die Geräusche der Bewohner.
    Kurze Zeit später stand sie vor dem Haus, in dem sich ihre Mutter und ihre Schwester ein winziges Zimmer teilten. Hier wohnten die Ärmsten der Armen, und wenn es einen Ort in Khotan gab, der noch trostloser und heruntergekommener war als der »Blumengarten«, dann dieses Viertel. Eines Tages, wenn sie zu alt zum Arbeiten war und den Männern nicht mehr gefiel, würde auch sie hier einziehen müssen. Tamaskana schüttelte sich und trat in den düsteren Hof.
    Duwaka öffnete beim ersten Klopfen. Als sie ihre große Schwester sah, fiel sie ihr mit einem Freudenschrei um den Hals.
    »Tamaskana! Wie schön, dich zu sehen.«
    Tamaskana hielt ihre kleine Schwester auf Armlänge von sich. Sie erschrak darüber, wie blass Duwaka war. Die Arbeit in der Teppichmanufaktur und das schlechte Essen griffen ihre Gesundheit an. »Du wirst immer hübscher, kleine Schwester«, log sie.
    »Danke. Aber es stimmt nicht. Ich huste sehr viel«, sagte Duwaka.
    »Tamaskana?« Die Stimme der Mutter war nur ein Flüstern. Tamaskana setzte sich auf den Rand des Lagers und nahm ihre fieberheiße Hand.
    »Guten Morgen, Mutter. Wie geht es dir?«
    »Schlecht. Meine Krankheit gibt mir nicht mehr viel Zeit. Ich kann den Tod bereits spüren.«
    »Sprich nicht vom Tod.«
    Duwaka hockte sich neben ihre Schwester. Viel gab es nicht zu erzählen, und bald verstummten sie. Tamaskana legte den Stoffbeutel neben Sanduschta aufs Bett.
    »Ich habe diesen Beutel in der Truhe der Stiefmutter gefunden. Es steht dein Name darauf, Mutter. Wieso war er bei ihr?«
    Sanduschta erbleichte. Mit zitternden Fingern nestelte sie an dem Band, das den Beutel verschloss. Als es nachgab, fielen mehrere Gegenstände vor ihr auf die fadenscheinige Bettdecke: ein Paar abgetragene, bestickte Schuhe, mehrere Haarnadeln, eine davon aus Jade, und ein durch das Alter stumpf gewordenes rot-schwarzes Lackkästchen. Sanduschta nahm das Kästchen und öffnete es. Tamaskana und Duwaka entdeckten darin Bambusstäbchen und die vordere Hälfte einer in der Mitte durchgebrochenen Pferdefigur aus dunkelgrüner Jade. Die Mutter brach in Tränen aus. Erschrocken tätschelte Tamaskana ihre Wange.
    »Mein Leben war verflucht, von Anfang an«, schluchzte Sanduschta.
    »Was hast du? Willst du uns sagen, was dich bedrückt?«, fragte Tamaskana aufmunternd.
    »Ich werde es dir erzählen, Tamaskana, du bist alt genug und hast viel mitgemacht. Duwaka, es ist schon spät, geh zur Arbeit.«
    Nachdem sich das Mädchen widerstrebend verabschiedet hatte, bat Sanduschta ihre ältere Tochter, ihr beim Aufsetzen zu helfen. Als sie es einigermaßen bequem hatte, sah sie Tamaskana forschend an.
    »Wirst du aushalten können, was ich dir zu sagen habe?«
    »Ich bin stark.«
    »Gut. Weißt du, wer dein Großvater war?«
    »Nein, er starb, als du noch ein Kind warst.«
    »Das stimmt. Ich habe ihn getötet.«
    * * *
    Schon Sanduschtas Mutter lebte in dem schmutzigen Hurenhaus, in dem auch Sanduschta den größten Teil ihres Lebens verbringen würde. Gewalt war an der Tagesordnung, und wenn die Mädchen, die gewöhnlich als Kinder von ihren armen Eltern an die Stiefmutter verkauft worden waren, nicht an einer Krankheit starben, ertränkten sie sich früher oder später im Weiße-Jade-Fluss. Der »Blumengarten der Freude« war für seine Bewohnerinnen ein Ort unendlichen Leidens.
    An einem eiskalten Wintertag vor vierundvierzig Jahren betrat ein neuer Kunde die Gaststube und blieb. Der Mann, ein jähzorniger und brutaler Kameltreiber, schmeichelte der Stiefmutter, und nach wenigen Wochen war er an dem Haus beteiligt. Nach seiner Ankunft wurde das ohnehin erbärmliche Leben der Mädchen zu einer irdischen Hölle. Die Stiefmutter verlor allein in diesem ersten Frühling vier Mädchen an den Fluss, zwei vergifteten sich, und eines verschwand spurlos. In dieser fürchterlichen Zeit wurde Sanduschtas Mutter schwanger. Der Vater war mit großer Wahrscheinlichkeit der neue Herr des Hauses, Boboni.
    Sanduschta war

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