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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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presste seine Beine wieder zusammen und band auch diese fest. Dann stopfte sie mehrere Decken fest um das Kind. Ahmet war verpackt wie eine Mumie, aber es schien ihm zu gefallen. Er gurrte zufrieden, bis ihm die Augen zufielen.
    Zu Anfang war Marion über diese brachial anmutende Wickeltechnik entsetzt gewesen, aber dann hatte sie sich gesagt, dass in diesem Teil der Welt wahrscheinlich schon hundert Generationen groß geworden waren, die ebenso verpackt worden waren. Sie erinnerte sich an Fotos von eingewickelten Säuglingen in Südamerika und fest an den Leib der Mütter gebundene afrikanische Babys. Wo stand denn geschrieben, dass die europäische Art, mit seinen Babys umzugehen, die einzig richtige war?
    Batügül strich Marion über die Wange: »Du solltest packen. Wir müssen spätestens um vier aufbrechen.«

    Der Eselskarren rumpelte in die Stadt. Die ganze Familie hatte sich auf die kleine Holzplattform gedrängt, um Marion zum Busbahnhof zu begleiten, selbst Osman war dabei. Vielleicht will er sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass ich wirklich abreise, dachte Marion mit einem Anflug von Bitterkeit. Je näher sie der Stadt kamen, desto deprimierter wurde sie. Es war ihr immer schwergefallen, Lebewohl zu sagen, aber diesmal war es besonders schlimm. In der kurzen Zeit war ihr Batügüls Familie ans Herz gewachsen, und Marion merkte, dass auch die anderen bedrückt waren. Es würden Jahre vergehen, bis Marion wieder nach Xinjiang reisen konnte – wenn überhaupt. Auch wenn Yandao das Gegenteil behauptet hatte: Chinas Westprovinz lag, zumindest aus ihrer Sicht, bedenklich nahe am Ende der Welt.

    Der Bus, ein funkelnagelneuer Reisebus mit großen Fenstern, wartete bereits. Marion kletterte hinein, und wenige Minuten später rollten sie langsam vom Hof. Marion winkte, bis sie die um den Esel herumstehende Gruppe Menschen aus den Augen verlor. Sie war wieder auf sich allein gestellt, und ihr war elend zumute.
    Ein verspäteter Fahrgast kam angehetzt. Der Fahrer hielt noch einmal an und ließ den Mann zusteigen. Nach einer kurzen Diskussion nahm der Mann auf einem Plastikhocker neben dem Fahrer Platz, da schon alle Pritschen belegt waren.
    Obwohl man sechsunddreißig Betten in den Bus gequetscht hatte, war er sehr komfortabel. Es gab nur Einzelpritschen, doppelstöckig in Dreierreihen nebeneinander angeordnet und durch zwei schmale Gänge voneinander getrennt. Die Heizung funktionierte, aber die größte Überraschung war das Bettzeug mit sehr sauberen Bezügen, das auf jeder Pritsche lag.
    Marion zog die Schuhe aus und legte sich auf ihre Pritsche, die sich in der vordersten Reihe befand, direkt hinter der Einstiegstür. Der Busfahrer saß auf der anderen Seite, sein Bereich war durch eine Trennwand vom hinteren Bereich des Busses abgeschirmt. Marion war das untere Bett zugewiesen worden, und wenn sie den Kopf hob, hatte sie einen freien Blick durch die Windschutzscheibe. Die Sechsundzwanzig-Stunden-Fahrt verlor ihren Schrecken.
    * * *
    Seit Stunden drehte Marion sich von einer Seite auf die andere, um eine bequeme Position zu finden. Sie konnte nicht einschlafen. Die Luft in dem Bus war jetzt stickig vom Atem der Reisenden, von denen mindestens die Hälfte so laut schnarchte, als ginge es um einen Wettbewerb. Der verspätete Fahrgast saß auf dem Hocker und unterhielt sich leise mit dem Busfahrer. Marion sah ihn nur schräg von hinten, aber manchmal drehte er den Kopf zur Seite, und sie konnte trotz des wenigen Lichts ein auffälliges Muttermal auf seiner rechten Wange erkennen. Es erinnert an einen Käfer, dachte sie. Der arme Mann hat sich damit bestimmt schon als Kind einen entsprechenden Spitznamen eingehandelt.
    Im Licht der Scheinwerfer wirkten die mächtigen Sanddünen links und rechts der Straße noch bedrohlicher als am Tag. In regelmäßigen Abständen kamen ihnen vollbeladene Lastwagen entgegen. Es herrschte mehr Verkehr, als Marion vermutet hatte.
    Mitternacht war vorbei, und sie hatten etwa die halbe Strecke zwischen Khotan und Turfan zurückgelegt. Die Vorstellung, sich inmitten der lebensfeindlichsten Wüste der Welt zu befinden, dreihundert Kilometer in beide Richtungen der Straße nichts als Sand, Sand und nochmals Sand, verursachte Marion eine Gänsehaut. Es hatte in Wahrheit nichts besonders Abenteuerliches, in einem modernen Bus auf einer ausgebauten Straße unterwegs zu sein, aber sie fühlte sich trotzdem ein bisschen wie der große Archäologe Sir Aurel Stein, der vor hundert

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