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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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und sie machte sich große Sorgen. Tagsüber lenkten die Tiere und die Arbeit sie ab, aber in der Dunkelheit wuchs ihre Unruhe.
    Ein leises Stöhnen erklang von der anderen Seite des Zeltes. Schneemond kroch unter ihren Fellen hervor und tastete sich zu der Lagerstatt, wo ihr Vater bewegungslos auf dem Rücken lag. Sie strich sanft über seine Wange.
    »Vater, hörst du mich?«, flüsterte sie.
    »Die Wölfe rauben mir den Schlaf. Sind deine Geschwister zurückgekehrt?«
    »Nein, aber es kann nicht mehr lange dauern. Hast du Schmerzen?«
    »Ein wenig.«
    Er log, und Schneemond wusste es. Ein Xiongnu-Krieger hätte niemals zugegeben, dass er litt. Ihr Vater hatte sich vor vielen Jahren während seines letzten Kampfes gegen die Chinesen ein Bein gebrochen, das nicht mehr richtig zusammengewachsen war. Er konnte kaum gehen, obwohl der Schamane dem Himmel und der Erde jeweils ein Lamm geopfert hatte.
    Die Pferde vor dem Zelt schnaubten und scharrten mit den Hufen.
    »Die Tiere sind beunruhigt«, sagte Schneemond. »Ich gehe besser hinaus.«
    »Hüte dich vor den Wölfen. Sie sind hungrig.«

    Schneemond nestelte an den Lederbändern, mit denen die Filzdecke vor dem Eingang gesichert war, schlüpfte nach draußen und blieb wie angewurzelt stehen. Trotz ihrer Sorgen war sie von der Schönheit des Landes überwältigt. Die schweren grauen Wolken, die am Vorabend im Tal des Himmelssees gehangen und die Berge verschluckt hatten, waren fortgezogen. Vereinzelte Wolkenfetzen jagten über den sternklaren Himmel. Der Mond war noch nicht untergegangen, und sein helles Licht wurde glitzernd von der glatten Wasseroberfläche und dem frischen Schnee auf den Uferwiesen reflektiert. Der Schnee war gefallen, ohne dass sie es bemerkt hatte, leise und sacht. Der Winter kam, und mit ihm die Monate voller Dunkelheit, Kälte und Entbehrungen. Es war aber auch die Zeit, in der sich die Familien mit ihren Freunden trafen und ein großes Feuer Wärme spendete, während draußen der Sturm durch die kleine Siedlung heulte und das Vieh sich in den Windschatten der Zelte drängte. In dicke Felle gewickelt saßen die Menschen dann beisammen und lauschten den Erzählungen der alten Männer, die gegen die Chinesen gekämpft und die Karawanen aus den fernen Ländern geplündert hatten. Schneemond spürte einen Stich. Ihr Vater kannte wunderbare Geschichten und Legenden, aber würde er in diesem Winter noch genug Kraft haben, die Kinder zu bezaubern, die mit weit aufgerissenen Augen jedem seiner Worte folgten?
    Schneemond riss sich von der funkelnden Märchenwelt los. Zum Träumen hatte sie keine Zeit. Mit großen Schritten umrundete sie das Filzzelt, um nach den Pferden und Schafen zu sehen. Die Tiere standen in Gruppen beisammen und wärmten sich gegenseitig. In weiter Entfernung erklang abermals das heisere Bellen eines Wolfes, das von den anderen Mitgliedern des Rudels erwidert wurde. Die Räuber waren auf der Jagd.
    Einige der einjährigen Ponys stampften mit den Hufen und warfen die Köpfe hin und her. Schneemond versuchte vergeblich, die jungen Pferde zu beruhigen. Sie wichen vor ihr zurück und starrten mit angstgeweiteten Augen und geblähten Nüstern zu der mit einem dichten Kiefernwald bestandenen Landzunge, die ungefähr ein halbes li entfernt lag. Schneemond konnte nicht sehen, was die Pferde nervös machte, die Schatten unter den Bäumen waren zu tief. Sie wartete. Bald lösten sich ein Reiter und sein Pferd aus der Dunkelheit und kamen langsam über die Uferwiese auf sie zu. Ihre Umrisse hoben sich scharf von dem blendendweißen Schnee ab.
    »Das ist Kostbare Blume«, murmelte Schneemond, als sie ihre Schwester erkannte. »Aber wo sind Sturm und Kleiner Stern?«
    Bedächtig einen Huf vor den anderen setzend überquerte das Pferd die Schneefläche. Das Tier wirkte völlig entkräftet. Schneemond beobachtete die zusammengesunkene Gestalt ihrer Schwester. Eine innere Stimme sagte ihr, dass sich etwas Furchtbares ereignet hatte. Als Kostbare Blume nur noch fünfzig Schritte von dem Zelt entfernt war, löste sich Schneemonds Starre, und sie rannte auf ihre Schwester zu.
    »Schwester!«, rief sie. »Warum bist du allein?«
    Das Mondlicht erhellte Kostbare Blumes totenblasses Gesicht. Mit ausdruckslosen Augen sah sie auf ihre Schwester herunter. Schneemond rüttelte an ihrem Bein.
    »Sprich zu mir! Was ist passiert?«, schrie sie. Entsetzliche Angst kroch in ihr hoch.
    Langsam füllten sich die Augen ihrer Schwester mit Leben. Unvermittelt stieß

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