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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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kräftigeren Geschwister und Freunde ihre Andersartigkeit vergessen zu lassen, hatte seine Tochter es mit zähem Willen zu einer wahren Meisterschaft im Reiten und Bogenschießen gebracht, Fertigkeiten, die einem Mädchen eigentlich nicht anstanden. Immer wieder tat sie sich als besonders mutig, besonders fleißig und besonders kunstfertig hervor. Eine Tochter, auf die er stolz sein konnte.
    »Wenn die Legenden der Wahrheit entsprechen, war er ein guter Mann«, fuhr er fort. »Es gibt mehr Xiongnu mit chinesischem Blut, als du denkst. Viele Männer haben sich unserem Volk ergeben und ihr Leben in der Steppe verbracht.«
    »Ich bin keine Chinesin«, sagte Schneemond trotzig.
    »Es ist nicht zu ändern. Und jetzt bring mir den Beutel, der neben meinem Lager liegt.«
    Schneemond sprang auf und holte den für seine Größe überraschend schweren Beutel. Ihr Vater schüttete den Inhalt auf den Filzteppich neben sich. Ein paar hundert chinesische Käschmünzen, ein schmaler goldener Armreif und ein hübsches Lackkästchen fielen heraus. Er ergriff das Kästchen und hielt es ihr hin.
    »Was ist das?«
    »Dein Großvater hat es mir gegeben. Er hat es von seinem Vater bekommen und der wiederum von seinem Vater. Es gehörte dem Chinesen.«
    Schneemond wurde schwarz vor Augen. Sie hatte schon den ganzen Tag Schwierigkeiten gehabt, sich aufrecht zu halten, aber die Eröffnungen ihres Vaters waren zu viel. Abwehrend hob sie die Hände.
    »Ich will es nicht. Ich will nicht wissen, was sich darin befindet.«
    »Es ist eine wertvolle Figur und ein Brief, aber ich kann ihn nicht lesen. Ich möchte, dass du in die Stadt Yar-Khoto reitest. Dort leben viele Chinesen und Menschen aus anderen Völkern, aber auch einige Handel treibende Xiongnu. Trete mit ihnen in Verbindung und frage sie nach einem chinesischen Medizinmann. Bestimmt kennt er eine machtvolle Medizin, die deinem Bruder helfen kann. Die Chinesen sind sehr gelehrt. Der Medizinmann wird eine Bezahlung haben wollen, nimm also die Münzen und auch das Kästchen mit der Figur, falls das Geld nicht reicht.«
    »Aber der Schamane wird ein Opfer bringen …«
    »Meinem Bein hat es auch nicht geholfen.«
    Schneemond sah lange zu ihrem Bruder hinüber, der mit dem Tod kämpfte. Sie würde alles für ihn tun.
    »Wann soll ich aufbrechen?«, fragte sie kaum hörbar.
    »Bei Tagesbeginn. Du reitest das Tal nach Norden hinunter, dann wendest du dich nach Westen und folgst den Bergen in Richtung der untergehenden Sonne. Wenn du zu dem weiten Pass gelangst, der zwischen den beiden Zügen der Himmelsberge hindurchführt, biegst du nach Süden und reitest die nächsten Tage in südöstlicher Richtung bergab, bis du die große Senke erreichst. Alles Wasser fließt in diese Richtung, du kannst sie nicht verfehlen. Yar-Khoto ist die erste Stadt, auf die du stößt.«
    Schneemond erhob sich. »Ich möchte jetzt ein wenig allein sein.«
    Sie trat aus dem Zelt, ging über die Wiese zum entfernten Ende der Bucht und setzte sich ans Ufer. Schneemond fühlte sich so steif und seelenlos wie eines der Holzpferde, die ihr Vater für sie geschnitzt hatte, als sie klein war, und die nur zum Leben erweckt wurden, wenn sie mit ihnen spielte. Sie beugte sich über das glatte Wasser des Sees und studierte ihr Spiegelbild. Im Wasser, über ihrem Kopf, stand der volle Mond, weiß und rund wie ihr Gesicht. Es war ein chinesisches Gesicht.
    Eine Träne tropfte auf die Wasseroberfläche, und kleine Wellen verzerrten Schneemonds Spiegelbild. Eine zweite Träne folgte, dann eine dritte. Endlich brach der Schmerz aus ihr heraus, und sie weinte so heftig, dass die Welt aufhörte zu existieren.
    * * *
    Der Mond war nur noch ein gebogener Strich am Himmel, kaum dicker als ein Pferdehaar, als Schneemond am frühen Abend auf das Haupttor der Stadt Yar-Khoto zuritt. Yar-Khoto lag an der Spitze einer schmalen Landzunge am Zusammenlauf zweier Flüsse. Tiefe Schluchten begrenzten die Stadt an zwei von drei Seiten, und in den Schluchten waren über steile Pfade zu erreichende Felder angelegt. Schneemond hatte noch nie eine Stadt gesehen und war eingeschüchtert von den Häusern, die auf den hochaufragenden Klippen thronten und jeden Angreifer verhöhnten.
    Als Schneemond die chinesischen Posten vor dem Stadttor sah, sank ihr Herz. Die Chinesen hatten Yar-Khoto erst vor wenigen Jahren erobert, und in dieser Schlacht war ihr Vater zum Krüppel geworden.
    Schneemond war eine Xiongnu und damit eine Feindin der Chinesen. Sie

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