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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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wenig Vergnügen.
    Marion humpelte langsam weiter. Sie genoss den Nachmittag in der alten Stadt, aber sie hätte es trotzdem vorgezogen, ihre Erlebnisse und Gedanken mit jemandem zu teilen. Die letzten Wochen hatten ihr deutlich gezeigt, dass sie zur Eigenbrötlerin einfach nicht geschaffen war. Sie brauchte Menschen um sich oder auch nur einen. Yandao? Oh, oh.
    Sie bog um eine Ecke und fand sich auf der breiten, die Stadt in zwei Hälften teilenden Promenade wieder. Ein Hoch der Fantasie, dachte Marion und erfand sich eine Gesellschaft von herausgeputzten Damen, mit denen sie gemeinsam zu dem am nördlichen Stadtrand auf einer Anhöhe wachenden Kloster promenierte. Der tiefe Hall eines Bronzegongs legte sich beruhigend über die Stadt; die buddhistischen Mönche gingen ihrer Mission nach und sorgten für das Seelenheil der Menschen.
    Unversehens änderte sich die Szene. Die Mönche schlugen den Gong mit unheilverkündender Heftigkeit. Aus den Weiten der Wüste kamen die Angreifer und fielen über die blühende Siedlung her. Panik herrschte in der Stadt, Pfeile flogen, Menschen warfen sich verzweifelt über die Stadtmauern. Fremde Männer schwärmten durch die Straßen, zogen die schönen Frauen an den Haaren aus ihren Gemächern, führten das Vieh davon und brannten die Häuser samt ihrer fein geschnitzten Säulen und Türen nieder. Yar-Khoto war nicht mehr.
    Marion verdrängte das Bild aus ihrem Kopf. Sie wollte sich die Stadt lieber als einen friedlichen Ort ausmalen. Dann sah sie auf ihre Armbanduhr. Vor drei Stunden war sie in Yar-Khoto angekommen. Die Zeit war wie im Flug verstrichen, und sie hatte noch längst nicht alles gesehen.
    Auf der Westseite des Plateaus weckte ein weites Feld ineinander verschachtelter Ruinen ihre Neugierde. Ein Schild untersagte das Betreten dieses Stadtteils. Marion ging unbeeindruckt daran vorbei und tauchte in die länger werdenden Schatten der kleinen Gebäude ein. Sie nahm an, dass dies die Quartiere der ärmeren Bewohner gewesen waren. Nach einigen Minuten lehnte sie sich am Rand des Plateaus gegen eine bröckelnde Hauswand und blickte über die von steilen Klippen begrenzte Schlucht in die Wüste. Das golden-violette Licht der Sonne wurde durch eine über den fernen Hügeln hängende Dunstschicht gefiltert. Die Welt um sie herum war absolut still, selbst die Krähen erwiesen dem himmlischen Schauspiel schweigenden Respekt.
    Marion wurde bewusst, dass sie seit einiger Zeit keinen Menschen mehr gesehen hatte. Der Zauber des Moments verflog. Wenn sie noch eine Mitfahrgelegenheit haben wollte, musste sie sich beeilen. Sie stieß sich von der Wand ab, ergriff die Krücken und humpelte in Richtung Südtor.
    Sie war nur noch wenige Meter von dem breiten Hauptweg entfernt, als sich eine der Krücken zwischen zwei Steinen verhakte und sie beinahe zu Fall brachte. Im Bemühen, das Gleichgewicht zu halten, trat sie einen Schritt zurück. Die Krücke löste sich überraschend aus dem Spalt. Marion taumelte einen weiteren Schritt nach hinten – und trat ins Leere.

    Sie landete mit einem schmerzhaften Stoß auf dem Hintern, aber eine dicke Schicht Sand federte ihren Sturz so ab, dass sie sich keine Verletzungen zuzog. Staub setzte sich in ihre Lunge, und sie begann zu husten. Als der Hustenreiz abgeebt war, inspizierte sie mit einem mulmigen Gefühl ihre Umgebung. Sie war etwa zwei Meter tief gefallen, in das Erdgeschosszimmer eines der noch nicht freigelegten Häuser. Marion sah nach oben. Die Decke des kleinen Raums war zu einem Viertel weggebrochen. Mit ihrem sprichwörtlichen Glück hatte sie exakt dieses kleine Loch getroffen, als sie stolperte.
    Unter normalen Umständen hätte Marion aus eigener Kraft ins Freie klettern können, aber daran war wegen ihrer Knieverletzung nicht zu denken. In der gegenüberliegenden Wand klaffte schwarz eine Öffnung. Sie duckte sich durch das Loch und spähte ins Dunkel. Hinter der Türöffnung befand sich ein Raum von ähnlicher Größe, völlig leer und mit intakter Decke. Enttäuscht zog sie den Kopf zurück und richtete sich auf. Es gab keinen anderen Ausweg. Die Zimmerdecke konnte sie mühelos erreichen, aber als sie versuchte, sich in die Höhe zu ziehen, zerbröckelte der Lehm unter ihren Händen, und sie fiel zurück. Sie keuchte, als sie mit dem verletzten Bein aufschlug.
    Marion war wütend. Wütend auf das verdammte Xinjiang, in dem sie von einer unerfreulichen Situation in die nächste schlitterte, wütend auf Thomas, der sie hatte

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