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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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Thomas hatte geschrieben. Marion öffnete die erste seiner beiden E-Mails. Er war immer noch auf seiner Insel, aber er begann sich zu langweilen und vermisste sie. Die Mail machte Marion traurig. Sie vermisste Thomas auch, aber sie sah keinen Weg zurück. Ihre Erlebnisse hatten sie verändert. Der chinesische Kommissar hätte niemals diesen Eindruck auf sie machen können, wenn zwischen ihr und Thomas alles in Ordnung gewesen wäre. In seiner zweiten E-Mail schrieb Thomas, dass er sich für den kommenden Donnerstag ein Flugticket nach Hongkong gekauft hatte und sie in Xi’an treffen wollte.
    Ein Treffen mit Thomas? Marion hielt es für eine schlechte Idee. Was wollte er? Etwa ihrer Beziehung eine neue Chance geben? Und wenn – wollte sie das auch? Sie wusste es nicht. Sie hatte sieben Jahre mit ihm verbracht, und vor allem die ersten Jahre waren wunderschön gewesen. Auch als sich die erste Verliebtheit, die Leidenschaft etwas abgekühlt hatte, verband sie noch vieles – genug, um darauf eine dauerhafte Beziehung, vielleicht sogar eine Beziehung fürs Leben aufzubauen. Es kam anders: In den letzten Jahren hatten sie sich schleichend auseinanderentwickelt. Die Entfremdung hatte begonnen, als Thomas vor vier Jahren einen sehr gut bezahlten Job in einem Architekturbüro bekam. Von einem Tag auf den anderen lebte er nur noch für seine Arbeit, während sie sich weiter mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt, die sie nicht forderten und ihr zu viel Zeit ließen – Zeit, die sie sonst mit Thomas verbracht hätte, um spontane Radtouren ans Meer zu machen, sich mit ihrem altersschwachen Paddelboot an die großen Frachter im Hamburger Hafen heranzupirschen und tausend verrückte Sachen mehr. Es war nicht zu ändern, und sie konnten das Geld, das Thomas jetzt verdiente, gut brauchen. Thomas war nicht geizig, und zum ersten Mal in ihrem Leben brauchte Marion nicht den Cent umzudrehen. Aber zu ihrem großen Ärger begann er plötzlich, sie ein wenig von oben herab zu behandeln, wie ein Kind, dem man sagen musste, was richtig und was falsch war. Ihre Ungebundenheit und Spontaneität, die er früher so bewundert hatte, bewertete er neuerdings als Unreife und lag ihr ständig in den Ohren, sie solle sich doch endlich um einen »anständigen« Beruf kümmern. Je mehr er bohrte, desto bockiger wurde sie. Marion machte sich keine Illusionen: Wahrscheinlich hatte auch sie sich verändert, und nicht nur zum Guten. Sieben Jahre waren eine lange Zeit. Eine lange Zeit, um seine Macken zu hegen und zu pflegen.
    Unschlüssig schubste Marion die Computermaus auf dem Mousepad hin und her und rechnete nach: Die E-Mail war vom vierundzwanzigsten Oktober, der darauf folgende Donnerstag war der achtundzwanzigste. Thomas war also seit fast einer Woche in China. Das Schicksal wollte, dass sie ihn traf. Sie antwortete ihm, dass sie plante, Mitte November in Xi’an zu sein. Dann beendete sie ihre Internetsitzung und ging zu Robert, der eine Website für traditionelle chinesische Medizin entdeckt hatte und begeistert die Zutaten studierte.
    »Ginsengwurzeln, gemahlene Eidechsen, Lapislazuli. Das ist die reinste Hexenküche«, sagte er.
    »Bärengalle, Tigerpenisse, Schlangenblut. Das ist keine Hexenküche, sondern ein Verbrechen. Komm, lass uns rausgehen und etwas essen, das nicht auf der Liste der bedrohten Arten steht.«
    * * *
    Den Vormittag des nächsten Tages faulenzte Marion im Hotel. Ihr Knie dankte es ihr: Es pochte, tat aber weniger weh als die Tage zuvor. Nach dem Mittagessen im Hotelrestaurant fing sie an, sich zu langweilen, und beschloss, die Ruinenstadt von Yar-Khoto zu besuchen. Jenny, Greg und Robert hatten sich für den heutigen Tag Fahrräder geliehen; nach ihrer gestrigen Trümmertour, wie Robert es bezeichnete, hatten sie fürs Erste genug von alten Gemäuern. Marion verließ das Hotel, warf ihre Krücken auf die Rückbank eines der wartenden Taxis und kletterte umständlich auf den Vordersitz.
    Während das Taxi in gemächlichem Tempo in Richtung Westen aus der Stadt fuhr, blätterte sie in einem kleinen Heft, das sie im Xinhua-Buchladen gekauft hatte. Die unbekannten Namen und Dynastiebezeichnungen verwirrten sie, aber im Großen und Ganzen lief es darauf hinaus, dass die Stadt bereits vor über zweitausend Jahren gegründet worden war. Während der Han-Dynastie gab es das in dieser Region übliche Hin und Her zwischen den Xiongnu-Reitervölkern und den Chinesen, bis die Chinesen im ersten Jahrhundert nach Christi

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