Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)
zu und suchte sich einen Platz auf der anderen Seite des Raumes.
Wangs Hand krampfte sich so fest um das Handy, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. »Warum Nikolai?«, fragte er mit gesenkter Stimme.
»Weil ich keine Fehler mehr akzeptiere. Ihr habt den Auftrag von Anfang an versaut. Es war wohl kaum angebracht, diesem drittklassigen Gauner, der euch die Figur angeboten hat, ein Messer in den Bauch zu jagen. Ihr könnt von Glück reden, dass die Polizei genauso unfähig ist wie ihr.«
»Der Typ ist unverschämt geworden«, verteidigte sich Wang und warf einen schnellen Blick auf den vermeintlich unfähigen Kommissar, dessen Handy gerade klingelte. »Du weißt, dass er hunderttausend Dollar verlangt hat. Und dann ist Turdi das Temperament durchgegangen.«
»Temperament durchgegangen? Ich würde eher sagen, dass er die Nerven verloren hat. Wenn dieser Tölpel Turdi nur halb so professionell wäre, wie du immer behauptest, hätte er die Situation unter Kontrolle behalten. Und dann ist euch der Mann auch noch durch die Lappen gegangen!«
»Wer konnte ahnen, dass er sich mit der Wunde so weit schleppen konnte?«
»Genug davon. Deine Ausreden bereiten mir Kopfschmerzen. Diese Ausländerin bereitet mir Kopfschmerzen. Die ganze verfluchte Geschichte bereitet mir Kopfschmerzen. Ach, da fällt mir noch etwas ein: Nikolais Uighurisch ist nicht sonderlich gut. Spricht Turdi Chinesisch?«
»Schlecht.«
»Englisch oder Russisch?«
»Englisch. Sein ganzer Stolz.«
»Wenigstens etwas. Turdi soll nichts unternehmen, bis Nikolai eingetroffen ist. Diesmal kriegen wir sie.« Es klickte. Die Leitung war tot.
Natürlich war das Handy in jener Jackentasche, in der Yandao zuletzt suchte. Das Klingeln machte ihn verrückt. Bestimmt gab es einen Notfall, und er konnte sein Feierabendbier vergessen. Er hätte das verdammte Telefon ausschalten sollen, als er das Büro verließ. Endlich hatte er es gefunden.
»Ni hao.«
»Yandao? Hier ist Marion.«
»Ma Li Huo! Endlich! Warum hast du dich nicht früher gemeldet? Ist alles in Ordnung?«
»Jaja, es ist alles okay. Ich habe deine E-Mails gelesen. Entschuldige, dass ich dir Sorgen bereitet habe. Ich bin es nicht gewohnt, mich täglich zu melden.«
»Wo warst du?«
»In Khotan.«
»Die ganze Zeit?«
»Ja.«
»Was hast du unternommen?«
»Alles Mögliche.«
»Hattest du ein angenehmes Hotel?«
»Ja.«
Yandao gab es auf. Ma Li Huo hatte offensichtlich nicht vor, ihm zu verraten, was sie in den letzten zwei Wochen gemacht hatte. »Wo bist du jetzt?«
»Willst du auch noch wissen, welche Farbe meine Socken haben?« Sie lachte. »Also gut, sie sind grau. Und ich bin seit gestern in Turfan.«
Das zumindest stimmte. Yandao hatte ihren Namen heute Morgen auf einer der Meldelisten gefunden, die er nach wie vor durchging in der vagen Hoffnung, dass sie sich noch in Xinjiang aufhielt. Und was die Farben ihrer Socken anbelangte – die Farbe ihrer Wäsche hätte er interessanter gefunden, aber das verschwieg er lieber. Ihr Anruf hatte seine mühsam gebändigte Verliebtheit sofort wieder aufflammen lassen.
»Was hast du jetzt vor?«
»Sightseeing. Und danach zum Himmelssee. Oder nach Lanzhou. Ich weiß es wirklich noch nicht.«
»Soll ich etwas für dich organisieren? Bahnfahrkarten zum Beispiel? Ich könnte einen Kollegen in Turfan anrufen.« Ich könnte kommen, dachte er. Frag mich einfach, und ich lasse alles stehen und liegen.
Sie fragte nicht. »Das ist sehr freundlich von dir«, sagte sie, »aber ich komme gut zurecht. Ausnahmsweise bin ich auch nicht allein, ich habe ein paar nette Leute kennengelernt, mit denen ich … oh, Mist, gleich ist das Geld alle. Yandao, ich rufe bald …«
Enttäuscht lauschte Yandao dem Tuten in der Leitung. Das Gespräch war viel zu kurz gewesen. Ein kalter Luftzug ließ ihn frösteln. Der kettenrauchende Gast eilte gerade mit hochgestelltem Kragen durch die Tür davon. Ein seltsamer Typ.
Marion hatte ein schlechtes Gewissen, als sie das Gespräch mit einer kleinen Lüge abwürgte, aber sie war völlig überfordert. Die zwei Wochen Funkstille hatten nicht ausgereicht, um sich den Polizisten aus dem Kopf zu schlagen. Sie brauchte nur seine Stimme zu hören, und sofort schlug ihr Herz Purzelbäume. Ihm ging es offensichtlich ähnlich: Die meisten der Nachrichten in ihrem E-Mail-Postfach stammten von Yandao.
Sie bezahlte das Telefonat am Tresen des Internetcafés und setzte sich dann wieder an ihr Terminal. Nicht nur Yandao, auch
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