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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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gewöhnten sich nur langsam an das Mondlicht. Das raschelnde Geräusch wiederholte sich dicht neben ihr, und sie sah in die glänzenden Knopfaugen eines kleinen Tieres. Als sie sich bewegte, huschte das Tier blitzschnell in die Dunkelheit des Nachbarraums. Eine Ratte.
    Der Mond, beinahe rund, zog seine Bahn über ihr. Marion suchte den Mann im Mond, aber wie immer verwandelte er sich in einen Hasen. Sie hatte gelesen, dass die Chinesen eine Kröte auf der Mondoberfläche sahen, aber die konnte sie noch weniger entdecken.
    Die Kälte war schwer zu ertragen. Um sich abzulenken und ihren Blutkreislauf wieder in Gang zu bringen, stand Marion auf und wanderte in ihrem Gefängnis hin und her. Als der Mond ihr Blickfeld verließ, hatte sie einen Plan ausgearbeitet. Sie würde nicht mehr passiv abwarten, bis das Schicksal zuschlug, sondern die Fäden selbst in die Hand nehmen. Marion fühlte sich stark und bereit, den Stier bei den Hörnern zu packen. Vorausgesetzt, Jenny, Greg und Robert spielten mit. Jetzt würde sich zeigen, ob sie mit ihrer Theorie der großen Weltenbummlerfamilie recht hatte.
    Ein leichter Wind kam auf und wisperte in den alten Häusern. Die Geister von Yar-Khoto erwachten.

    Die zweite Hälfte der Nacht war fürchterlich. Die Temperaturen fielen weiter, und Marion fand keinen Schlaf. Immer wieder wälzte sie ihren Plan im Kopf hin und her. Ihr Mut verließ sie nicht, aber die anfängliche Euphorie war verflogen. Wenn sie das belauschte Gespräch richtig deutete, war eine ganze Verbrecherbande hinter dem Pferd her – und damit hinter ihr.
    Irgendwann sah Marion sich selbst von oben. Sie hatte sich in eine unmögliche und auch gefährliche Situation manövriert, aber es hatte auch etwas Lächerliches: Wie ein fußkranker Zootiger in seinem Käfig humpelte sie im Kreis herum, ohnmächtig, etwas zu tun. Nein, korrigierte sie sich, der Vergleich hinkt mindestens genauso wie ich: Ein Tiger ist niemals lächerlich oder wehrlos. Eine dusselige Kuh im Stall trifft es wohl eher. Und zwar eine, die freiwillig zur Schlachtbank läuft, wenn es so weit ist.
    Ihre Gedanken wanderten nach Deutschland. Dort war es ungefähr Mitternacht, und ihre Eltern träumten wahrscheinlich friedlich in der geheizten Sicherheit ihres Reihenhauses. Fünf Straßen und drei Gehaltsstufen weiter schlief auch ihr Bruder den Schlaf des Gerechten. Siehst du, würde er sagen, wenn er sie hier sehen könnte, ich habe dir doch gleich gesagt, dass du Mist bauen und es nicht schaffen wirst. Eigentlich sind sich Olaf und Thomas diesbezüglich gar nicht so unähnlich, stellte Marion ärgerlich fest. Ich habe bei meiner Männerwahl anscheinend keinen Vater-, sondern einen Bruderkomplex. Wahrscheinlich sitze ich hier, weil ich meinem Bruder etwas beweisen muss. Hurra, dachte sie mit einem Anflug von Galgenhumor, endlich habe ich einen Sündenbock gefunden. Olaf hat an allem Schuld.
    Dabei hatte es erst ganz anders ausgesehen. In ihrer Kindheit und Jugend war ihr Bruder ihr bester Freund gewesen, allerdings auch ihr härtester Konkurrent. Nicht um die Liebe ihrer Eltern, die ihnen beiden sicher war, aber um ihre Anerkennung. Olaf fiel alles zu, selbst seine rebellische Phase wurde ihm von allen verziehen, weil er immer noch gute Schulnoten nach Hause brachte und auch später die Uni mit Bravour meisterte – während sie sich mit voller Absicht immer weiter von den gesellschaftlich anerkannten Werten abgrenzte. Natürlich war auch sie mit den Jahren ruhiger geworden, woran Thomas nicht ganz unschuldig gewesen war, aber sie hatte trotzdem kaum Kontakt zu Olaf. Nach allgemeiner Auffassung hatte er es geschafft: toller Job, tolle Frau, tolles Haus, tolle Kinder, toller Rentenplan. Nicht dass Marion ihm seinen Erfolg nicht gönnte, ganz im Gegenteil. Aber sie empfand es als Verrat, dass er seine Ideale einem spießigen Leben geopfert hatte, mit dem er auch noch zufrieden war. Zufrieden und glücklich. Die Entfremdung zwischen ihr und ihrem Bruder hatte begonnen, als Olaf sein Politikstudium aufgab und in den Bereich der Wirtschaftswissenschaften wechselte – in Marions Augen der Gipfel des Verrats. Sie wusste, dass es kindisch war, aber so empfand sie nun mal. Immerhin hatten Olaf und sie den Großteil ihrer Jugend damit verbracht, sich die Köpfe heißzudiskutieren. Wie viele Jugendliche wollten sie die Welt verbessern, was sonst. Im Gegensatz zu Olaf hatte Marion ihre pubertären Pläne allerdings nie vergessen – auch wenn sie bis heute keine

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