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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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unerbittlich.
    Trotz der bleigrauen Regenwolken, die über den Hausdächern hingen, wurde auf dem Schulhof nebenan der Morgenappell abgehalten. Marion stellte sich fröstelnd ans Fenster. Hunderte von Kindern in weiß-blauen Trainingsanzügen machten Rumpfbeugen und kreisten mit den Armen. Zum Glück war ich am Wochenende krank, dachte Marion. So konnte ich wenigstens die letzten beiden Tage ausschlafen. Sie wandte sich vom Fenster ab und ging ins Bad. Zufrieden stellte sie fest, dass sie keine Kopfschmerzen mehr hatte. Die Nase lief zwar noch, aber sie fühlte sich klarer als an den Tagen zuvor. Die erzwungenen Ruhetage hatten sich zudem positiv auf ihr Knie ausgewirkt: Sie konnte fast normal gehen.

    Wohlige Wärme empfing sie. Das Internetcafé war der erste geheizte Raum, den sie in China betrat – ein Trick des Besitzers, um die Jugendlichen länger bei ihren Computerspielen zu halten. Marion hatte allerdings nicht den Eindruck, dass sie einen zusätzlichen Anreiz benötigten. Sie nahm an, dass die auf die Bildschirme fixierten Jungen gegen Hunger, Durst und Kälte immun waren, wenn sie ihre virtuellen Armeen gegeneinander antreten ließen. Während sie darauf wartete, dass sich ihre Internetpostbox öffnete, beobachtete sie die beiden Zwölfjährigen, die rechts und links von ihr gefährlich aussehende Soldaten in Kampfanzügen abschlachteten. Eine ganze Generation verblödete vor der Mattscheibe – selbst in diesem abgelegenen Teil der Welt.
    Als Erstes öffnete sie eine Mail von Greg. Sie war am Sonnabend gekommen, einen Tag nach Marions Abreise. Die Amerikaner und Robert hatten den ganzen Nachmittag die Hotelhalle im Turfan-Hotel im Auge behalten. Sobald der Russe und sein Kollege ihre Posten bezogen hatten, war Jenny über die Fluchttreppe seitlich in die Halle geschlichen und mit den Krücken die Haupttreppe hinaufgehinkt. Auf halbem Weg hatte sie einen Sturz vorgetäuscht und laut geflucht. Greg hatte die Szene von einem versteckten Platz aus beobachtet. Der Russe hatte Jennys Fluch gehört und ihr nachgesehen, bis sie im ersten Stock verschwunden war. Anschließend hatten sich die drei durch das Restaurant abgesetzt und waren ins Oasis-Hotel umgezogen. Sie wollten noch drei oder vier Tage in Turfan bleiben und dann weiterreisen.
    Die zweite Mail war von Thomas, der in Yangshuo, der Travellerhochburg Chinas, hängengeblieben war. Das sah ihm ähnlich. Marion teilte ihm kurz mit, dass sie in wenigen Tagen in Xi’an ankommen würde. Wenn er sie sehen wollte, musste er seinen Allerwertesten unverzüglich in Bewegung setzen.
    Li Yandao hatte sich seit Tagen nicht gemeldet.
    * * *
    »Du hast doch kürzlich diese Taschendiebstahl-Geschichte bearbeitet, oder?«
    Li Yandao hob den Kopf. Sein Kollege Liu Zhenguo hatte unbemerkt sein Büro in Kashgar betreten und stand mit einigen geöffneten Umschlägen in der Hand vor seinem Schreibtisch. Mit der anderen Hand wischte er imaginären Staub von seinem blanken Schädel, ein Tick von ihm. Irgendwann hatten ihm boshafte Kollegen einen Staubwedel geschenkt.
    »Welche Taschendiebstähle?«, fragte Yandao.
    »Na, die von dem Kerl, der nach Aussage der Standbesitzer ein auffälliges Mal im Gesicht haben soll. Der, den sie auf dem Markt beinahe in die Finger bekommen und gelyncht hätten.«
    »Ach ja. Den hatte ich vergessen. Wie kommst du auf ihn? Wen hat er jetzt bestohlen?«
    »Niemanden. Er ist tot.«
    »Tot? Haben die Leute vom Markt ihn doch noch erwischt?«
    »Nein. Du hast doch bestimmt von dem schweren Busunfall gehört, der sich vor ein paar Tagen auf der Trans-Taklamakan-Straße ereignet hat: dreiundzwanzig Verletzte, vier Tote. Einer von ihnen war dein Taschendieb. Die Identifikation hat etwas länger gedauert, weil, Ironie des Schicksals, seine Brieftasche verlorengegangen ist und sich der Mann scheinbar in ein Puzzle verwandelt hat. Der Pathologe aus Korla meinte jedenfalls, es sei eine äußerst unappetitliche Sauerei gewesen.«
    » Aiyah! Erspar mir die Einzelheiten.«
    »Na, jedenfalls ist das Stück mit dem Muttermal nicht verlorengegangen«, fuhr Zhenguo ungerührt fort und nahm sich einen Keks aus einer mit schwarzem Filzstift bekritzelten Kiste auf Yandaos Schreibtisch. »Der Kollege in Korla hat daraufhin recherchiert und schließlich mit mir Kontakt aufgenommen. Die Unterlagen sind gerade gekommen.« Zhenguo reichte Yandao einen der Umschläge, der ihn umgehend auf einen gewaltigen Ablagestapel legte.
    »Das würde ich nicht tun«, sagte

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