Die Verborgene Schrift
und die Lippen schmalgeworden vom vielen Schweigen.
»Hast du Nachrichten von Armand?« fragte Balde. In Gegenwart der Mutter sprachen sie, wie früher. Französisch. Gewissenhafter sogar, so als fürchteten sie, es voreinander einzugestehen, daß Frau Balde keinen Teil nahm an ihren Gesprächen.
Hortense hatte aus ihrem Arbeitskästchen zwei Briefe genommen, die zu gleicher Zeit an sie gekommen waren. Der erste, noch aus dem Hauptquartier Châlons, in strahlender Laune geschrieben. Den las sie zuerst.
»Abends und morgens spielt die Musik. Man speist in den kleinen gemütlichen Restaurants für allerdings viel Geld ganz vorzüglich.« Er schrieb ausführlich Menüs und Preise, erzählte amüsante Tischgespräche, schickte Karikaturen, von einem Kameraden gezeichnet. Ein großer Turko mit einer Menge kleiner Prussiens auf dem Gewehr, an der Leine eine Bulldogge führend, die Bismarcks Züge trägt. »Die Mädchen des Dorfes haben uns zu einem Tänzchen eingeladen. Es sind ein paar niedliche darunter, mager und dunkel, voll Feuer. Aber habe keine Sorge um mich, meine arme liebe Hortense. Ich umarme Dich und Désirée mit Leidenschaft.«
Der zweite Brief war zwischen den Märschen geschrieben:
»Wir marschieren auf die Maas zu, man bietet uns überall Lebensmittel an. Wein so viel, daß die Leute in exaltation geraten. Ich habe Mühe, sie in der Reihe zu behalten. Alle Augenblicke verschwindet der eine oder der andere in einem der Wirtshäuschen, die am Wege stehen. Man sieht sie nie wieder. Und man hat Lust, es ihnen nachzumachen. Die Sonne brennt, der Küraß drückt, der Pferdeschweif peitscht die Ohren. Die Zeit des Déjeuners ist längst überschritten.«
Und das letzte Briefstück aus der Nähe von Sedan:
»Hier sind die Obst- und Gemüsegärten bereits von unseren Truppen verwüstet, keine Erfrischung zu haben. Alle Welt ist müde, zerbrochen. Man schilt auf unsere Generale, die uns indieses Elend geführt haben. Aber jetzt ist nicht Zeit, darüber nachzudenken. Reisende erzählen, daß man sich schlägt. Wir hören deutlich das Geräusch der Kanonen. Auch wissen wir, daß Preußen ganz in der Nähe sind, vielleicht in diesen Wäldern. Wenn es diesen Herren beliebte, herauszuspazieren, die Zigarre im Munde, wir würden in einem Moment geliefert sein, denn wir haben keine Aufklärposten ausgestellt, nicht einmal eine Wache. Manchmal hört man ganz in der Nähe ein Geräusch, dann rufe ich ›saluez‹ , und die Leute bücken sich. Das ist alles. Man prophezeit auf morgen die Schlacht. Sei es drum. Wir alle haben nur das eine Verlangen, Abrechnung zu halten mit diesem miserablen Bettelpack in baumwollenen Hemden, die sonst, wenn sie nach Frankreich kamen, unsere Stiefel mit ihren breiten Bärten abwischten, und die nun hier sind, um unsere Pendülen zu stehlen und die Millionen unseres sparsamen Volkes auf ihre Karren zu packen. Aber sie haben nicht mit unseren Mitrailleusen gerechnet. Wenn Frankreich die Zivilisation nicht anders retten kann, als indem es diese Teutonen zertritt, so muß man sich eben nachher sorgfältig seine Stiefelabsätze abputzen.«
Françoise sprang auf, ganz weiß im Gesicht. »Warum liest du mir das, Hortense? Und Monsieur Dugirard – er kennt die Deutschen nicht. Wenn du gehört hättest, was, Père Anselme –«
Hortense hob den Kopf. Ein scharfes Feuer glomm in ihren Augen. »Du bist nicht mehr Französin, wie es scheint, du Arme. Aber ich – seitdem dieser Krieg ist, weiß man erst, wie heiß man Frankreich liebt. Eine Mutter, die leidet« – ihre Stimme zitterte – »sie braucht unsere Liebe mehr als eine gesunde. Ich möchte alles, was an mir elsässisch ist und an Deutsches erinnern könnte, von mir stoßen. Und wenn ich mich dabei verstümmeln sollte.« Ihre Bewegung war wild und schön.
Frau Balde sah sie verwundert an mit jammervoll sanftem, verständnislosem Lächeln. Dann stichelte sie weiter an ihrer Stickerei.
Hortense, sich beherrschend, fuhr fort: »Armand hat recht. Wir haben um Frankreich geworben, auch wir Elsässer. Immernoch. Wir haben es bewundert wie etwas Fremdes und haben uns dadurch lächerlich gemacht vor den Franzosen. O, ich weiß. Ich habe genug gelitten. Von heute aber wird das alles aufhören, von heute ab sind wir Franzosen, nichts als Franzosen.«
Die Leidenschaft stieg wieder hoch in ihr und machte sie beben. Franchise faßte besorgt ihre Hände. Sie wärmte sie in ihren.
»Schilt mir nicht uns Elsässer,« sagte Balde und versuchte zu
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