Die Verborgene Schrift
schnell die Leute, die in Betracht kamen, schrieb die Quartierzettel, sich selbst teilte er zwei Offiziere, zehn Mann und Pferde zu, ebenso Schlotterbach und Bourdon.
Die klare und bestimmte Art der Fremden gefiel ihm wider Willen. Sie glich seiner eigenen.Der Hauptmann winkte jetzt den Leutnant herbei. Der zog eine Verordnung aus der Tasche, die in Deutsch und Französisch gedruckt war, und reichte sie dem Maire. »Dies ist auf der Stelle zur Veröffentlichung zu bringen.«
Balde las: »Jeder Bewohner der von den Deutschen okkupierten Städte und Dörfer wird hiermit aufgefordert, die Gewehre, mit Namen und Straßennummern versehen, bis nachmittags fünf Uhr auf dem Rathause abzuliefern. Die Waffen werden nach dem Kriege zurückgegeben. Die Nationalgarde in Uniform und die Pompiers müssen die Erlaubnis zum Tragen der Gewehre beim jetzigen Kommandanten der Stadt Kolmar, General von Schmeling, einholen.«
»Und was wird mit meiner Bürgerwache?« fragte Balde. Er setzte kurz auseinander, wie es damit stand. Die Herren sahen sich an. Der eine zog ein Notizbuch und Bleistift aus der Tasche. Er warf ein paar Worte auf Papier und reichte sie Balde. »Telegraphieren Sie sogleich!«
Balde las: »An den Befehlshaber der Armee des Oberrheins General von Schmeling. Maire von Thurwiller bittet um Übersendung von zehn Mann als Zuchthauswache. Hauptmann von Cleß.«
»Die Leute werden um fünf Uhr hier sein,« setzte er hinzu.
Balde stieg das Blut ins Gesicht. »Deutsche Soldaten? Ich soll sie herrufen?«
Der Offizier machte eine abschließende Bewegung« »Ich kann mich darauf verlassen, daß die Befehle des Kommandanten prompt ausgeführt werden?« fragte er dann. »Wir halten uns an Sie, Herr Bürgermeister. Und Sie sehen mir aus,« – hier machte er verbindlich eine kleine Kopfneigung – »als würden wir dabei gut fahren. Habe ich recht?« Wieder dieser scharfe, durchdringende Blick.
Balde schwieg, dann sagte er mit fester Stimme: »Mein Herr, als Mensch werden Sie in mir immer und überall den unbeugsamen Franzosen finden, als Maire dagegen einen Beamten, der alles tun will, um seine Stadt vor Kämpfen und Unglück zu bewahren.«»Nun, das ist ja die Hauptsache.« Es lag jetzt Ärger in seiner Stimme. Er drehte an seinem langen Schnurrbarte. »Es ist natürlich wichtig,« fuhr er mit lauter Stimme fort, »daß wir uns mit den Führern der Bevölkerung verständigen. Und wenn die deutsche Verwaltung erst einmal durchgeführt ist –«
»Die provisorische, meinen Sie, mein Herr.« Leidenschaftlich hatte er den Arm des Offiziers gepackt. Der schüttelte die Berührung unwillig ab.
»Zuerst natürlich die,« antwortete er dann. »Aber schließlich wollen wir das Elsaß doch auch endgültig vom französischen Joch befreien und es seinem alten Mutterland zurückgeben.«
»Ohne es zu befragen, ob es das will, mein Herr?« Balde zitterte vor Zorn. Jetzt mischte sich auch der Dunkle, Schmale ein, der einen mächtigen Vollbart trug. »Allerdings, mein Herr,« er ließ sein Augenglas fallen, »denn Graf Bismarck wird wohl nicht allein danach fragen, was Ihren Herrn Elsässern angenehm ist. Er wird sich ganz einfach einen Wall verschaffen, auf dem wir uns in Zukunft wehren können.«
»Und dieser Wall sind wir? Menschen, denen man wie einer Herde Vieh von einem Tag zum andern einen neuen Herrn geben will!« Sein Gesicht war ganz verändert, weil es, vielleicht zum erstenmal in Baldes Leben, alle Farbe verlor. Es war etwas Schreckliches darin. Selbst seine Hände, schienen in ihrem Ausdruck etwas Tragisches zu bekommen als er jetzt in seiner Tasche herumfingerte. Er zog ein Kästchen heraus, das er aufriß. Ein deutscher Orden lag darin, der Kronenorden, den er vor ein paar Jahren bei einer Landwirtschaftlichen Ausstellung von Preußen erhalten hatte. In sinnloser Heftigkeit schleuderte er den Orden auf den großen Eichentisch. »Nehmen Sie ihn zurück, meine Herren Preußen, ich will nicht die Dekoration einer Nation bewahren, die mein Land vergewaltigt.«
Auch der Offizier war erblaßt. »Wissen Sie, daß wir Sie sofort verhaften lassen können?« sagte er leise vor Zorn. Der Hauptmann war ans Fenster getreten. »Lassen wir die Sache ruhen! Wir wollen es Ihnen und uns ersparen, daß unnötigerLärm entsteht. Aber nehmen Sie sich für künftig besser zusammen, Herr Maire! Wir werden Sie nicht aus den Augen verlieren.« Damit gingen die beiden sporenklingend hinaus.
Balde stand noch eine Weile unbeweglich. Er schämte
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