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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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schnell, schnell.«
    Sie wehrte sich. »Ich will nur erst das Frikassee –« Sie hustete vor dem Rauch, der jetzt auch hier hereinströmte. Es war höchste Zeit. Wassergüsse kamen von draußen herein, Soldaten drangen ins Haus. Gesicht und Hände in nasse Tücher gehüllt, rissen sie mit Stangen und Haken an den brennenden Gardinen, Leitern wurden angestellt, Balde sprang zum Küchenfenster hinaus und hob dann mit Hortensens Hilfe die sich immer noch sanft wehrende Mutter aufs Fensterbrett und ins Freie. Dann ließ er die Frauen in den hinteren Garten, der nach den Gemeindefeldern hin völlig geschützt war. Er selbst lief durch das Haus hindurch nach der Klostergasse.
    Das Rettungswerk war schon in vollem Gange. Die Wachtsoldaten aus dem Zuchthause und Neugierige, die streng herangeholt wurden, schleppten Wasser. Jetzt kam auch Tränkele mit der Spritze. Die Seitenflügel des Hauses standen noch fest und dunkel nach vorn. Im Mittelbau schien alles weich und glutend, die Dachsparren über dem Speicher bloßgelegt. Beständig flogen brennende Holzstücke durch die Luft, platzten Glasscheiben. Balde ließ sogleich die Straße sperren und dirigierte den dünnen Wasserstrahl der Spritze, den der zitternde Tränkele ungeschickt mitten hinein in die Zuschauer gewandt hatte, schleppte mit den andern Möbel und Hausrat auf die Straße und war überall. Auf einmal sah er etwas, was sein Blut stocken ließ: Oben am Fenster von Blancs Giebelstube stand seine Frau. Sie war unbemerkt zurückgelaufen aus dem Garten und hielt nun ein paar gerahmte Bildchen in der Hand, unschlüssig, ob sie sie herunterwerfen sollte. Balde stieß einen Mann von der Leiter weg, die zu kurz war, rief nach einer zweiten zum Anbinden, rannte zurück ins Haus über die nasse, triefende Diele nach der Treppe, die, halb verkohlt, von triefenden Trümmern versperrt war. Nun wieder zurück nach der Hausfront, wo die Soldaten bereits die Leiter verlängert und angestellt hatten. Er stieg hinauf, er streckte warnend und beschwörend die Arme aus nach der ahnungslosen Gestalt, die ihm entgegenlächelte. Und jetzt stand sie plötzlich ganz groß imFensterrahmen. Sie mußte drinnen auf einen Stuhl gestiegen sein. Sie neigte sich mit zufriedenem, wie erlöstem Lachen nach vorn. Aus ihren Kleidern fiel ein Garnknäuel, das wie eine glühende kleine Maus das schräge Sims entlang sprang und verkohlte. Balde sieht den Körper seiner Frau an sich vorüberfliegen, ganz umloht, wie von einer Flamme getragen. Er erkennt noch die großen, sanft erstaunten Augen, die ihn ansehen, dann scheint alles weich zu werden und zu glühen, ringsum ein Schrei. Er steigt sinnlos noch einmal höher ins flammenflutende Leere, fällt – und fand sich irgendwie im Grase liegend unter laut weinenden Frauen. – –
    Als Françoise zurückkam, lag noch Brandgeruch in der Luft. Sie schrie auf, als sie ihr Haus sah, feuergeschwärzt mit entblößten Sparren, davor die kahlgesengten Platanen. Sie fand Hortense und den Vater mit der Kleinen in der »Krone«. Ein kleines Kindersärglein, das Maître Zwisler, der Tischler, gerade fertig gehabt, und in das man die wenigen aufgefundenen Reste der Mutter gesammelt hatte, stand in der Kapelle der Maison Centrale. In der Kirche war kein Platz für die Protestantin. Das Grab hatte man im Baldeschen Garten gegraben, inmitten des Bosketts, das die versengte Kastanienallee abschloß. Hohe, stille Kerzen brannten in den grauen Tag hinein. Alle Bekannten waren gekommen, der Beerdigung beizuwohnen. Die Quine weinte laut, wie eine Schuldige. Aber dann sah sie neugierig auf die deutschen Wachtsoldaten, die, gleichen Glaubens wie die Tote, den Sarg herbeitrugen, ehrfurchtsvoll und ernst, als bestatteten sie einen ihrer Generale. Sie sangen auch. Ihre heimischen Gesangbuchslieder, laut, mit harten, frommen Stimmen. »Befiehl du deine Wege« und »Wenn ich einmal soll scheiden«. Und dann, als der Sarg versenkt war, las der jüngste der Offiziere, ein großer Blonder mit fast weißen Augenlidern, die seine Augen unheimlich tot erscheinen ließen, wenn er niederblickte, den Text des vorigen Sonntags, wie er das hier im katholischen Lande jeden Sonntag morgen den Kameraden tat. »Lukas achtzehn, Vers achtundzwanzig« las er, »vierzehnter Sonntag nach Trinitatis.« Alle Hände falteten sich.
    »Da sprach Petrus: Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolget. Er aber sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch, es ist niemand, der sein Haus verlässet

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