Die Verborgene Schrift
begegnete. Auch die anderen Fabrikmaidele taten leidlich stolz dem Feinde gegenüber. Sie hielten sich die Ohren zu vor den schrecklichen Querpfeifen. Man schauderte davor. Die lustigen clairons der lieben »piou-pious« , die lauteten doch anders! Man lachte auch über ihr »ewiges Vaterland«. Man stellte sich auf wie zu einer Komödie, wenn sie bei der Ablösung mit starren Augen und verrenkten Gliedern wie Hampelpuppen genau im Takts in die Stützen traten, in die die abgelösten dann ebenso hart und komisch stoßweise einrückten. Aber man wagte doch nicht allzu laut zu werden gegen sie. Es lag etwas Erschreckendes in der ruhigen Art, mit der diese großen Männer den Lachenden ins Gesicht blickten, und schlecht sahen sie nicht aus, tout autrement, eigentlich ein paar prächtige Mannsbilder, diese verdammten Prussiens.
Die Arbeiter aber, wenn sie aus dem Wirtshaus kamen, rannten in die Klostergasse und lärmten vor Baldes Haus. Mehr um sich zu amüsieren als aus wirklich böser Absicht. Aber irgendwie wuchs die Unruhe doch täglich stärker an und gebärdete sich stiller und verbissener. Gerade als würde sie, sobald sie erlöschen wollte, von außen immer wieder aufs neue und immer stärker angefacht. »Sales Prussien« und »traître« .
Die Baldes hörten nicht groß darauf. Das abendliche Schreien da draußen war ihnen schon zur Gewohnheit geworden. Im übrigen hielten sie sich ziemlich abgesondert, seitdem Françoise verreist war, die in letzter Zeit fast das einzige Bindeglied gewesen war zwischen ihnen und der Stadt. Jetzt lebten sie wie auf einer Insel.
Im, Bibliothekzimmer unten aßen die preußischen Offiziere. Es war bequemer so, als ihnen das Essen hinüberzuschaffen. Man hatte sich nicht über sie zu beklagen, sie sprachen kein Wort mehr als nötig zu dem bedienenden Salmele und trieben das Essen eilig und ernsthaft wie eine Pflicht. Draußen in der Küche hielt das Salmele sich dann schadlos an dem Burschen der bei ihnen einquartierten beiden Leutnants, einem geschwätzigen Sachsen, der ihr tausend Spaß vormachte, ihr deutschen Unterricht gab und selber von ihr »Franzeesch« zu lernen versuchte. »Gaveegebbchen«, sagte er ihr vor und wies auf die elsässische große Schüsseltasse, die sie ihm mit Kaffee gefüllt hatte. Sie dagegen lehrte ihn ein höfliches »Bermeddire Ihr« und »Adje binander«, von dem sie glaubte, es sei Französisch.
Am fünften September etwa erhielt Hortense, da sie mit Balde in seinem Zimmer Zeitung las, einen Brief von Armand. Er trug den Stempel der deutschen Feldpost. Hortense hielt ihn lange in der Hand, ohne ihn zu öffnen. Dann las sie:
»Meine teure Hortense! Ich weiß nicht, ob Du von den Ereignissen der letzten Tage schon gehört hast. Jedenfalls will ich, um Dir jede Sorge wegen meines Befindens zu nehmen,Dir sagen, daß ich weder verwundet noch sonst krank bin, und daß wir auf den herrlichen Wällen der Festung Sedan in der Sonne umherspazieren, auf weichem Rasen, mit Bäumen bepflanzt. Man sieht hier über die Gräben in das Land hinein. Freilich sieht man auch die Leichen von Menschen und Pferden die Mauer entlang, Tornister, zerbrochene Säbel. Wir haben sie zerbrochen bei der Gefangennahme, damit der Feind sie uns nicht abnehmen soll.
Gefangennahme! So ist es denn gesagt, teure Freundin. Wir sind das Opfer eines tragischen Verhängnisses geworden. Es war ein verbrecherischer Fehler unserer Heeresleitung, sich auf die Festung Sedan zu verlassen, die ehemals wohl eine ansehnliche Festigkeit darbot, nun aber gegen die weite Tragkraft der Kanonen, die auf den umgebenden Höhen aufgepflanzt sind, machtlos ist. Unser Regiment wäre sonst befähigt gewesen, eine glänzende Rolle in dieser Schlacht zu spielen, denn der Kampfeifer war groß, obgleich die meisten meiner Leute noch niemals im Feuer gewesen sind.
Es war ein heißer Tag für uns, aber die Leute waren bewunderungswürdig. Um fünf Uhr morgens stiegen wir von den Höhen herab, durchquerten das Tal und hörten schon die Kanonen von allen Seiten. Vor uns defilierten die Turkos, ihre weißen Turbane leuchteten. Sie liefen wie zu einem Fest. Wir werfen uns in ein abgeerntetes Feld. Die Sonne brennt auf unsere Köpfe, da liegen wir stundenlang. Man hört die preußischen Kanonen, die französische Artillerie wird schwacher, eine Kugel schneidet meinem Pferde, das hinter einer Deckung steht, das Ohr ab, ich behalte kaltes Blut. Man ruft mir Bewunderung zu. Ein paar Leute werden verwundet. Man kann sie
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