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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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erweist. Sie haben ihr auf der Soiree der Deveaux ein Buch empfohlen von einem gewissen Maeterlinck, es heißt ›Die Blinden‹. Ich habe es gleichfalls gelesen. Ein merkwürdiges Buch. Es macht traurig und glücklich zugleich.«
    Sie wurde rot im Bewußtsein, von sich selbst gesprochen zu haben und dabei das nützliche Thema »Tochter« zu vernachlässigen. »Aber ich ertappe mich darauf, selber ein wenig im Stile Ihres Buches zu reden, während ich doch nur ...«
    Aber Paul hatte Angst. Er wollte selber werben, wenn er erst mit sich im reinen war, nicht sich einfangen lassen. »Sie haben recht,« sagte er. »das Buch ist schön. Es ist ein wenig niederländisch-mystisch. Aber vielleicht tut der wachsamen französischen Spöttischkeit ein Zuguß solcher Träumerei nicht schlecht?«
    »Was mich betrifft, ich bin für das Greifbare,« sagte der Baron. Unwillkürlich rundete er die noch bewegliche linke Hand dabei, als fasse er verwegen. Er drehte mühsam denKopf. Ein paar hübsche Radlerinnen führten ihre Velos den Berg hinauf. Sie waren in Sammethöschen und hatten gefärbtes Haar.
    Inzwischen war das Leben des kleinen Bades völlig aufgewacht, überall flutete bunt und von Lachen überschwirrt die Masse Vergnügter durch die Straßen. Auf hohen Schuhabsätzen stöckelnd die Bourgeoisen, die am frühen Morgen schon ihre Ohrbrillanten trugen, Bauern vom Lande in kurzen Jacken und langschößigen Röcken, die Frauen künstliche Blumen am Vortuch. Alle waren Mitspieler, keiner Zuschauer. Vor den Auslagen der Geschäfte standen sie und bewunderten Waren und Ankündigungen. Paul ging immer noch mit Madame Berthe hinter dem Krankenstuhl her. Er hatte noch Zeit, wollte, wohlerzogen, die Tante am Kirchausgang begrüßen.
    Sie kamen an den Hauptplatz, auf dem eine Negerin, grell aufgeputzt, den Leuten Reklamezettel für einen Zahnarzt zusteckte. Die elsässische Brasserie Gyß hatte ein Bübchen entsandt, das allem, was nur ein wenig unfranzösisch aussah, seine papierne Lockung in die Hand steckte. » Aux Français de coeur ,« schrie er dazu, »'s isch f'r die, wo im Herze franzeesch bliewe sin.« Auch Paul erhielt einen Zettel von ihm. Er wurde rot. Sah man ihm wirklich noch den Elsässer an?
    »Man würde Sie einen Belgier glauben,« sagte Madame Berthe, die ihn erriet, beschwichtigend. Der Baron erkundigte sich nach Hortense. »Une femme digne, je la respecte de tout mon coeur«.
    Jetzt fingen die Glocken an zu läuten, voll, feierlich. Paul verabschiedete sich und eilte zur Kirche, deren Türen bereits geöffnet waren. An ihm vorbei hastete die alte Louison mit den kleinen Paletots der Kinder. Es sei nach dem Regen frisch geworden, die Kleinen könnten sich erkälten.
    Hortense war unter den ersten, die herauskamen. Paul betrachtete sie. Sie sah alt aus. Ihr Körper, immer magerer und härter werdend, schien nur noch ein achtlos ungeschmücktes Behältnis zu sein für den Feuerfluß ihrer Seele, der sich imGlanze ihrer Augen verriet. Ihr Gang, mit dem sie jetzt auf ihn zukam, war heftig und ruckweise, wie gestoßen.
    Die ersten Begrüßungen mit ihrer falschen Lebhaftigkeit von beiden Seiten, ihren Fragen und Antworten waren vorbei. Hortense, ruhelos wie immer, drängte zum Hauptplatz, die »grande revue« nicht zu versäumen. »Die Kinder müssen es sehen.«
    Die kleine Eugénie, Tütü genannt, machte fromme Augen, während das Bübchen, als Abkürzung von grand-frère »Granfe« genannt, unverhohlen der Negerin zustrebte und große Lust bekundete, sich Zuckerschlangen und Dragantpüppchen zu kaufen. Aber die Großmutter zog ihn mit sich fort.
    Die Parade verlief nicht sehr feierlich. Schmuck genug freilich sahen die Offiziere in ihren elegant sitzenden Uniformen aus. Ihr kurzschrittiges Marschieren hatte etwas Lustiges und Graziöses. Voll Verve zogen die Soldaten an ihrem Colonel unter den Klangen des Sambre-et-Meuse-Marsches vorüber. Scharen junger Mädchen begleiteten die Soldaten und summten im Walzertakt die Klänge mit. Hier und da wurde in einer Ecke des Platzes von Kindern und Erwachsenen nach der Musik getanzt.
    Der blasse, verdrossen an Hortenses Hand dahertrippelnde Granfe wurde plötzlich von einem Soldaten gegriffen und mitgenommen im Zuge. »Hé, l'ami, ta graisse ne te pèse pas trop, par exemple.« Die alte Louison hielt dem Kleinen das Händchen und trabte mit. Sie nickte eifrig. » Ben oui, le soldat ,« und zum Kleinen weiter in ländlichem Französisch:
    »Qu'est-ce que je te disais toujours,

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