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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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mon vieux? Si tu ne manges pas, tu ne seras pas fort, si tu n'es pas fort, tu ne te marieras pas. Voilà.«
    Das kleine Französlein erhob bei dieser Aussicht ein jämmerliches Geschrei und bat und flehte, er wolle dennoch heiraten. Tütü aber, einen Dreimaster aus Papier auf dem Kopf, den ihr Louison gemacht hatte, marschierte mit glühenden Bäckchen nebenbei und sang aus Herzensgrunde sehr falsch den Marsch mit. »C'est ça,« sagte sie befriedigt.Hortense wandte sich unaufhörlich zu ihrem Neffen zurück. »Nun, was sagst du? Ist es schön, ist es erhebend, Franzose zu sein? Möchtest du vielleicht lieber mit den Deutschen ihren Kaisersgeburtstag feiern drüben im Elsaß? Sie tun es nicht wie ein Vergnügen, wie eine Arbeit tun sie es. Und wie sie dann schreien, ces rustres .« Sie schüttelte sich vor Ekel.
    Wenn sie mich doch lassen wollte, dachte Paul. Zu patriotischen Aufgaben war immer noch später Zeit, wenn er seine Karriere gemacht hatte! Er sah nach der Uhr. Hortense nickte. »Ja, ja, geh' nur, sonst kommst du zu spät; die Dampftram nach der Schlucht muß jeden Augenblick abgehen. Leider haben wir ja die Eisenbahn dorthin noch nicht. Sie ist uns seit zehn Jahren versprochen ...«
    Die Fahrt zur Grenze war genußreich, trotz des Stoßens, Pfauchens und Übelriechens der Dampfbahn, die man zum Empfang der Elsässer mit Grün, Lilien und Fähnchen geschmückt hatte. Paul war der einzige Fahrgast.
    An den großen Waldseen, an denen er entlang fuhr, wimmelte es von buntgekleideten Menschen. Schon jetzt, kurz nach dem Kirchgang, sah man die Jugend verliebt Arm in Arm in die stilleren Seitenpfädchen hineinschlüpfen, während die stattlichen Straßburger, Kolmarer und Mülhauser Madames geputzt und selbstbewußt am Arme ihrer Ehemänner oder Galans dahinwogten. Eine Reihe épiciers, alle in weißen Festwesten, bildete mit amüsanter Silhouette eine Bogenornamentik von Frühstücksbäuchlein gegen den Rasen.
    Paul hatte Muße, das alles zu sehen. Die Tram ging langsam. Aber mit willigen Sinnen nahm er es nicht auf. Die französische Kleinstadt und die kleinstädtischen Bourgeois waren ihm zuwider. Er fühlte sich Pariser bei solchem Anblick.
    Nun kam er zur Schlucht. Und nun hielt die Tram. Paul stieg aus. Hüben das große französische Hotel, drüben ein deutsches Wirtshaus. Am Hotel bewegten sich elegante Leute hin und her. Sie erwarteten den Zug aus Münster, der die Elsässer bringen sollte. Die Damen hatten Lorgnetten vor den Augen und hoben ihre weißgekleideten Kinder auf die Tische,damit auch sie die Alsaciens und namentlich die Alsaciennes in ihrer Tracht sehen könnten.
    Als wenn Seiltänzer kämen, dachte Paul geärgert. Er stellte sich auf der Landstraße dicht am Grenzpfahl auf. Ein Spaßvogel hatte hier einen Kreidestrich auf den Boden gezogen, auf den setzte er seine beiden Füße. Die beiden Soldaten vor ihren Schilderhäusern, der rothosige hier und der blauhosige drüben, lachten einander an. Sie waren alle zwei in Feststimmung. Neben Paul machten sich zwei junge Menschen, ihrer Aussprache nach geborene Elsässer, über die deutschen Aufschriften drüben lustig, die man von hier aus lesen konnte. »Halt, wenn die Barriere geschlossen ist«, »Rechts gehen«, »Vor Taschendieben wird gewarnt«, »Es ist verboten, die Gleise zu betreten«.
    »Es ist verboten! In Deutschland ist alles verboten, was nicht erlaubt ist,« sagte der eine witzig, »in Frankreich dagegen alles erlaubt, was nicht verboten ist.« Dann plötzlich änderte sich seine Stimme. »Le voilà,« sagte er leise.
    Man sah noch nichts, aber man hörte ein prasselndes Geräusch.
    »Eisenbahnbauen, das verstehen sie, ces cochons ,« sagte der Witzige wieder.
    Der andere antwortete nicht, denn nun kam der Zug wirklich. Langsam keuchte er sich hinauf, kurz vor der Grenze anhaltend. Leute stiegen aus. In diesem Augenblick tönten von der französischen Seite her ein paar Flintenschüsse. Zwei Männer hatten sich auf dem unteren Felsvorsprung aufgestellt und feuerten Begrüßungsschüsse ab. Die Leute auf der Hotelterrasse winkten zierlich und taktmäßig mit den Taschentüchern. Die Elsässer lachten und riefen hinauf.
    Dann verschwanden die Elsässer im Bahnhofsgebäude, um die deutsche Zollrevision zu durchlaufen. Auf französischer Seite gibt es das nicht heute. Man hat den Zolltisch im Freien hart hinter den beiden Grenzpfählen aufgestellt. Keine Beamten, dafür drei ländliche Musikanten mit ihren Blechinstrumenten, die einen

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