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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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elsässische Sitte herausgebildet in diesen vierundzwanzig Jahren. Man verband Gemüt, Patriotismus und Landpartie dabei. Und zwar so, daß die Patriotischen nach Belfort zogen, die Naturfrischler aber nach der Schlucht und Gérardmer.
    Jungen Schritts ging er den Hügel hinab. Ein wundervoller Regenduft stieg aus dem Waldgrund, die Bäume funkelten. Auf den Wiesen sah man weiße Kleider. Man hörte Singen. Ganz nahe bei ihm, auf einem Parallelweg, durch Büsche bedeckt, sang eine alte Frau eine heitere Chanson:
    »En revenant des noces
j'étais si fatiguée,
près d'une fontaine
je me suis reposée.
Ah tralala tralalalaine.«
    »Tralala, tralalalaine,« sang er mit. Er war vergnügt und leicht und in Feststimmung. Auf einmal gab er sich ein würdiges Aussehen, nahm das Hütchen ab, strich über sein Haar und zog die Handschuhe glatter. Auf der Kurpromenade, die er nun fast erreicht hatte, bemerkte er, auch ihnen nun sichtbar werdend, eine junge Frau in hochmoderner Toilette, die neben einem eleganten Krankenwägelchen herging, den ein junger Bursche in Livree schob. In dem Wagen saß ein wachsbleicher, magerer Herr, Baron de la Flèche. Madame Berthe, seine Frau, war eine geborene de la Quine. Man wußte, daß ihre Mutter jahrelang die Geliebte des Barons gewesen war und diese Heirat gemacht hatte. Lucile hatte Paul in der Familieeingeführt. Es war da eine Tochter des Barons aus erster Ehe, eine reiche Erbin, die sollte er heiraten.
    Korrekt und dabei doch ein winziges wenig intim, stand Paul jetzt neben dem Krankenstuhl, fragte nach Mademoiselle, die bei einer Klosterkameradin in Belgien zu Besuch war, und legte, wenn er mit dem Kranken redete, einen respektvollen Rücksichtston in seine Stimme, der seiner Frische vorzüglich stand. Madame Berthe plauderte inzwischen mit konventioneller Heiterkeit. Sie hatte die wunderschönen, feuchtblauen Augen der Mutter, die aber in ihrem schmalen resignierten Gesichtchen jede Spur von Frivolität eingebüßt hatten.
    Paul sagte ihr im Weiterspazieren Komplimente über ihre Toilette, die, streng nach der letzten etwas koketten Mode, sie in ein entzückendes Blau kleidete, das bis zum Weiß hinauf sich aufhellte und in einem weißen Tüllhütchen mit Federn endete. Der gestickte blaue Tüllärmel, durch Drahtgestelle aufgespannt, ließ den schmalen weißen Arm wie ein Silberfischchen im Wasser schwimmend erscheinen. Der Sonnenschirm war eine blaue Nelke mit grünseidenen, schmalen Blättern. All dies Pikante aber und fein Aufreizende verlor seine Kraft an ihrem pensionärinnenhaft korrekten Wesen. Hätte einer sich die Zärtlichkeit genommen, genau zuzusehen, so hätte er wohl den Zug von Herbheit, fast Verachtung um ihren feinen, hübschen Mund gesehen. Die meisten aber merkten nichts davon. Sie galt als tadellos uninteressant.
    Auch Paul blieb höflich und gelangweilt an der Mauer der Banalität stehen, die sie um sich herum gezogen hatte.
    Sie waren jetzt bei den letzten mondänen Auktionen, die man in Paris gemeinsam erlebt hatte. Der Baron war Sammler von Illustrationen, Radierungen und sprach angeregt aus seinem unbeweglichen Gesicht heraus wie aus einer Maske über die Feinheiten der Chéretschen Plakate, in denen Blau und Orange vorherrschten.
    »Ich liebe diese starken Farben,« sagte er mit schleppender Stimme. »Ein Kranker wie ich liebt alles Starke. Alles Junge und Zukunftsreiche,« fügte er liebenswürdig hinzu, indem erin seine immer noch schönen Augen eine Schmeichelei für Paul zu legen versuchte.
    Paul dankte mit einer leichten Verbeugung. »Und dieses Fest, unterhält es Sie?«
    »Der Baron ist der Jüngste von uns allen,« sagte Madame Berthe, »wenn es gilt, ein Vergnügen mitzumachen, sich zu putzen, Menschen zu begegnen.« Ihre Ärmel flatterten sonderbar dabei im Luftzuge. Es sah aus, als friere sie.
    Der Kranke blickte sie, ohne den Kopf zu bewegen, von der Seite an. »Meine beiden Damen müssen viel entbehren,« sagte er dann leichenhaft liebenswürdig. »Mein Zustand erlaubt mir nur selten, ihren Kavalier zu spielen. Ich mache mir Vorwürfe deshalb. Auch die unschuldigen Vergnügungen meiner Tochter behindere ich. Sie ist eine so heitere Natur, Monsieur Füeßli, so dankbar für jede kleine Freude, die man ihr macht.« Wieder warf er seiner Frau einen Blick zu. Die Meinung war ein strenges: »Fahre nun du gefälligst fort darin!« Und Madame Berthe sagte lächelnd: »Ja, es ist wahr, unser Töchterchen vergißt keine Freundlichkeit, die man ihr

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