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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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leicht zerreißlich, ist ihr nun längst zum täglich neuen Glück geworden. Ihr Herz ist voll von ihm. Aber da gab es etwas Unvergessenes zwischen ihr und dem Entwichenen. Etwas, das die Erinnerung an ihn fortwährend leidenschaftlich lebendig hielt. Er hatte sie verschmäht. Zum zweitenmal verschmäht.
    Das war es. Denn alles erträgt, verzeiht und vergißt die Frau endlich; aber ungehört verdammt zu werden von einem, den sie geliebt hat, und zu dem sie ging als zu einem Liebenden – das vergißt sie nicht. Françoise hat oft gemeint, ersticken und verbrennen zu müssen an all den ungesprochenen Worten. Und dann hat sie angefangen ihm zu schreiben. Das geheime Fach ihres Schreibtisches ist angefüllt mit unabgeschickten Briefen. Sich einmal, ein einziges Mal gegen ihn aussprechen zu können, das wurde zur glühenden Sehnsucht in ihr. Und weil diese Sehnsucht ungestillt bleiben mußte, deshalb hat sie den Mann, der sich schweigend von ihr wandte, nicht vergessen; deshalb hat er ihr Leben beherrscht bis zum heutigen Tage. Heinrich Hummel ist es gewesen, der sie führte, wohin sie nie sonst gegangen wäre. Sein Schatten hat sie ins französische Lager gejagt, hat ihr den Sohn von der Seite gerissen und ihr entfremdet.
    Jetzt stieg noch eine Frau ein, prustend vor Eile. Eine dicke Madame, die fast auf Françoises Knie zu sitzen kam, da der eine ihrer Nachbarn höflich aufgestanden war, um Platz zu machen. Die Frau in schwarzseidnem Schleppkleid, Filethandschuhen, Mantille und verschobenem rundem Blumenhut fing sogleich an, mit schallender Stimme zu erzählen. Ihr kleiner Sohn sei in Gérardmer im Hôtel de la Poste angestellt. Er hatte an sie geschrieben, aber malheureusement war es Französisch. Weder sie selber noch irgendeiner in ihrem Dorfe konnte das lesen. Sie bat jetzt Pierre darum, der ihr Vertrauen einzuflößen schien. Pierre nahm die Briefe und las.
    Dann reichte er sie Françoise. »Unmöglich dabei ernsthaft zu bleiben,« flüsterte er ihr zu. Es war ein unverfälschtes Elsaß-Französisch, das sie zu sehen bekamen. Sie las.
    »Scherarmère Dimange.
    Je suis maintenant dans mon médier peudi pordier et garson dofisse en même tams, dans l'hôtel de la Poste. J'ai vain francs par moi et le casquète de pordier et de bons bésés pour longle.
    de queure Rémond.«
    Françoise übersetzte:
    »Gérardmer Sonntag.
    Ich bin jetzt in meinem Amte kleiner Portier und Laufbursche zugleich im Hôtel de la Poste. Ich habe jetzt zwanzig Franken im Monat und die Portiersmütze und gute Küsse für den Onkel.
    Von Herzen Raimund.«
    Der zweite Brief war so:
    »Mes chèrs parents.
    Je suis maintenant très sein et j'apprend très. J'espère que vous êtes aussi sein. Fait donc des chaucaula si je viens. J'aime les. Fait donc.
    Votre honoré R.«
    »Meine lieben Eltern. Ich bin jetzt sehr gesund und ich lerne sehr. Ich hoffe, daß Ihr auch gesund seid. Macht doch Schokolade, wenn ich komme. Ich liebe sie. Macht doch.
    Euer geehrter R.«
    Und der dritte:
    »Chèrs parents.
    Les souliers ne sont pas raison, parce que je me suis surmarché le pied. Je ne peux pas apprendre, jusque je peux marcher. J'ai feu dans la chambre et und bouteille de lit. Lucien n'a pas une et n'a pas feu. Moi, j'ai. Envoie moi du Zantihanniskumfitüre.
    De queure R.«
    »Liebe Eltern. Die Schuhe sind nicht recht, weil ich mir den Fuß überlaufen habe. Ich kann nicht lernen, bis ich gehen kann. Ich habe Feuer im Zimmer und eine Bettflasche. Lucienhat keine und hat auch kein Feuer. Ich, ich habe. Schickt mir Sankt-Johannis-Konfitüre.
    Von Herzen R.«
    »A arg scheen Schriewes,« sagte Françoise und gab der Dicken ihren Brief zurück. »Awer besser wär's halt doch, er tät Euch Elsässer-Ditsch schriewe. Gell?«
    »Abah, i freu mi au so scho gnue, wann i's au net verstand. Franzeesch isch nowler. Wenn einer Franzeesch kann, isch'r un petit monsieur .« Sie glänzte vor Stolz. » Merci vielmol, madame .« Und der Brief verschwand wieder in der Pompadour.
    In Tournemer und Longemer stiegen viele aus, die Füeßlis konnten nebeneinander sitzen. Erst jetzt auch konnte man aus dem Fenster sehen und die sanfte Romantik der Schluchten und Berge, die farbige Schönheit der Seen genießen.
    »Wie reizend diese französischen Provinzstädtchen sind,« sagte Françoise. »Glaubt man nicht, die Zeit sei über ihnen still gestanden?«
    Paul nickte. »Sie liegen da und schlafen und warten auf Paris. Das tun sie alle hier in Frankreich.«
    »Es liegt etwas

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