Die Verborgene Schrift
Worte beigegeben hatte. Paul lehnte am Billard und verteidigte seinen Maupassant gegen die Angriffe von Tante Hortense, die des Dichters Unsittlichkeit leidenschaftlich bekämpfte.
»Die Unmoral kann niemals schön sein, mein Lieber, denn die Kunst soll ...«
»Wollen wir nicht jetzt meine Käserei besichtigen?« fragte der Hausherr wieder.
Hortense fuhr auf. »Mais c'est dégoûtant ça.« Sie wurde rot, da sie sich von ihrer Heftigkeit übermannt sah, und begann nervös zu lachen. »Nein wirklich, Monsieur Dugirard kennt nichts mehr als seinen Käse. Und seine Kühe sind ihm wichtiger als das ganze übrige Frankreich.«
»Sie halten also selber Kühe?« fragte Pierre freundlich, so auf die Seite des Mißhandelten tretend.
»O, nur einige.« Zutraulich wie ein Kind trat er zu ihm heran. »Die andern Kühe sind mir nur tributpflichtig. Sie gehören den Leuten im Dorfe.«
Hortense zuckte die Achseln. Sie hatte sich erhoben und machte ein paar rasche, ungeduldige Schritte ins Zimmer hinein. »Wir wollten doch die Wasserspiele am See besuchen, denke ich, und nachher das Konzert im Kasino. Glaubst du, unsere Gäste sind hierhergekommen, um sauren Käsedunst zu riechen?«
Sie ging zu den Kindern. »Habt ihr eure Aufgaben beendet? Nun gut.« Sie nahm das Bilderbuch und betrachtete es mit verschlossener Miene. Dann legte sie es beiseite. »Spielt lieber Karten, Kinder. Sie sind dieses Derbe und Bunte nicht gewöhnt,« sagte sie entschuldigend zu Françoise. In Wahrheit, aber das wußte sie selbst nicht klar, tat es ihr weh, die Reime, an denen sie sich als Kind gefreut, so verwandelt zu sehen.
Die andern hatten sich inzwischen mit Armand auf den Weg gemacht. Hinter dem Haus über einen wundgetretenen Rasen dem Wäldchen zuschreitend, kam man zu einer Anzahl Holzbaracken, noch ganz hell, wie nackt in der Sonne stehend. Ein scharfer Geruch drang daraus hervor. Armand blieb stehen und zog laut die Luft ein. »Kräftig, nicht wahr? Das ist der Laab, der die Sauermilchkäse faulen läßt.« Eine Zärtlichkeit sprach aus seiner Stimme. Seine Nase blähte sich.
Drinnen war ein gelbliches Halbdunkel. Die Fenster, oben angebracht, alle geöffnet und mit durchsichtigem Stoff verhangen.
»Es ist wegen der Fliegen. Sie fallen in Massen in die Kessel und verlangen in der gerinnenden Milch, der caillebote, unter der Presse zerstampft zu werden.« Er ging umher und strahlte vor Eifer, sprach ein paar Worte mit den Mädchen, die die Kessel säuberten oder die Milch seihten. »Jetzt kommen wir in die eigentliche fromagerie . Ich versuche eine neue Sorte. Sie gleicht dem Brie, ist aber kräftiger. Die Temperatur ist, sehen Sie, von großer Wichtigkeit. Ich denke seit langem daran, mir eine Dampfheizung anlegen zu lassen, aber Madame wünscht es nicht. So behelfen wir uns immer noch mit dem freien Feuer oder den kupfernen Kesseln da. Man muß mit dem Fahrenheit messen. Zehn bis zwanzig Grad, je nach der Sorte. Hier ist das Orléans zum Färben. In fünfzehn oder zwanzig Minuten gerinnt die Milch, in der noch die Molke ist.« Er ließ sich einen Holzlöffel reichen, schöpfte und gab den Gästen zu kosten. »Dann mischt man und füllt ab. Dann kommt die Knetmaschine. Ein kräftiges Tier, nicht wahr? Dann werden die Käse gesalzen und müssen reifen. Manche preßt man in die Form. Hier sind die Käsebretter, auf denen sie aufgereiht liegen. Ich kann oft stundenlang dastehen und sie betrachten.«
»Wie er jung ist, nicht wahr?« sagte Pierre gefällig.
Armand errötete vor Vergnügen. »O, man ist durchaus noch nicht zu Ende. Selbst wenn man nicht mehr Offizier ist. Ich gebe nicht so viel auf diese Ehre, nicht so viel.« Und er schnipste in der Richtung des Hauses zu, in dem Hortenses schwarzes Kleid sich zwischen den Blumen der Veranda bewegte.
»Man ist immer zufrieden, wenn man arbeitet,« sagte Françoise schnell.
»Das ist wahr. Sehen Sie diese kleinen runden Käse, sie sind meine Rekruten. Ich kommandiere sie. O, ich kenne jeden einzelnen, so ähnlich sie sich scheinen. Man hat genau das gleiche Vergnügen an ihnen wie an den lebendigenSoldaten. Und die gleiche Mühe.« In diesem Augenblick fiel ihm ein kleiner Bleistift aus der Tasche und bohrte sich in eins der Käschen ein. Armand zog ihn sorgfältig heraus. »Sie sind verwundet, caporal ?« Und er spielte weiter. »Ihr da, ihr andern, he, was sehe ich, ihr erschreckt vor einem toten Mann? Voilà une belle affaire! Irgendeiner muß doch wohl einmal eine solche Pflaume
Weitere Kostenlose Bücher