Die Verborgene Schrift
geschlängelte Kieswege, an Rabattenbeeten vorbei ging es zur Freitreppe. Ein galonierter, geschmeidiger Diener, der Französisch sprach, öffnete und fragte nach des Fremden Wünschen.
»Reden Sie nicht Deutsch?« fuhr Hummel ihn an. Er war irgendwie in schlechte Laune geraten. »Wir sind hier in Deutschland.«
Der Diener lächelte überlegen höflich und nahm mit einer untadeligen Verbeugung die Karte auf einem silbernen Tellerchen entgegen.
Das Vestibül, in dem Hummel wartete, sah ziemlich prunkhaft aus: Marmorwände, eine bronzene Mohrin am Treppengeländer, die eine Schale voll Blumen hielt, eine sehr hübsche Kammerzofe in Musselinschürze und koketter Haarschleife lief mit klappernden Absätzen die Treppe herab und knixte graziös vor dem Fremden.
Hummel wurde hinaufgeführt nach dem Salon, der mit roten Damasttapeten und viel Gold einen deutlich ausgesprochenen Eindruck von Pracht machte, durch den mit Gaze verhüllten Kronleuchter aber und die Schutzdecken über den Sesseln sehr ungemütlich aussah. Hummel betrachtete das große Ölgemälde, das da hing, ein Werk von Besnard. Es stellte eine zarte Blondine dar mit ihrem Töchterchen, wie zerfließend in Schleiern. Das Kind hatte große, erwachsene Augen und einen Kirschenmund. Sicher ein Porträt von Victor Hugos Frau und seinem Kind.
Er betrachtete das Bild noch, als ein eleganter Herr eintrat mit kleiner Vorderperücke und blond gefärbtem Schnurrbart, gepflegt bis zur Geckenhaftigkeit. Er hatte einen etwas steifen Gang. Als er jetzt auf den Besucher zutrat und lächelte, war es ein Gespenst von »Schlotterbach fils«, unheimlich gemischt mit den Allüren von Madame Schlotterbach. Jetzt streckte er, ein wenig theatralisch, beide Arme vor, »Ah quel surprise, quelle joie. Quel honneur pour moi,« verbesserte er sich schalkhaft, wobei auf eine wehmütige Weise das Knabenlächeln Victor Hugos zum Vorschein kam.
Hummel betrachtete ihn ernsthaft und gründlich, mit jenem unbestechlich beharrlichen Blick, wie Naturforscher, Maler und Kinder ihn haben. Als aber Victor Hugo sich jetzt mit geschickt verhehltem Hinken in Bewegung setzte, um den Gast in sein Arbeitszimmer zu führen, wo es wärmer sei als hier im Salon, da während der Abwesenheit von Madame hier nicht geheizt werde, fiel Hummels Blick auf das elegant gestiefelte künstliche Bein, und es stieg eine warme Empfindung in ihm auf.
»Ich bin gekommen Ihnen zu danken,« begann er und errötete vor Eifer und in einem Gefühl von Unbeholfenheit.
»Sie haben mir das Leben gerettet. Ich weiß eigentlich erst jetzt – – Ihr Herr Schwager hat mir erzählt –«
Direktor Schlotterbach machte eine liebenswürdig abwehrende Bewegung. »O, mein Herr, kein Verdienst könnte hoch genug sein, daß ihm der Besuch eines so sehr berühmten Gelehrten nicht Belohnung wäre.«
Hummel wußte zu seinem Ärger nichts darauf zu erwidern. Auch ließ ihm der gewandte Hausherr keine Zeit. Er versicherte in vielen Worten, Madame Schlotterbach würde untröstlich sein, aber sie sei zu einer Kusine nach Paris gefahren, deren Sohn die erste Kommunion mache. »Madame Schlotterbach ist nur selten in Thurweiler, sie kann die Luft hier nicht vertragen.«
Man war jetzt im Arbeitskabinett angelangt, einem schmalen, mit geschnitzten, dunkeln Möbeln reich besetzten Zimmer. Man saß am Kamin, in dem frische Scheite glühten, man rauchte. Hummel wollte wieder von seinem Dank beginnen, aber sein Wirt verscheuchte ihm die Anfangsworte mit der gleichen weltmännisch leichten Bewegung von vorhin. »Sie sind sehr gütig, mein Herr, und ich hoffe wirklich, der Himmel wird es mir einmal auf der Avoir -Seite anrechnen, daß ich eine Leuchte der Wissenschaft vor der degradierenden Bekanntschaft mit einem derben Bauernknüttel bewahrt habe.« Er sprach ein suchendes Deutsch von leicht ironischer Färbung. »Das Leben hat Humor,« sagte er dann ernster, und die Flamme des Kamins gab seinem Gesicht eine lebensvollere Färbung, »es hat mir aus einer verbrecherischen Nachlässigkeit ein Verdienst machen wollen, voilà ce qui est bizarre .«
»Eine verbrecherische Nachlässigkeit? Wie meinen Sie das?«
»Ich hatte ein wenig mein Vaterland verraten. Simplement. « Er strich sich vorsichtig über das dünne Nackenhaar.
»Ihr früheres Vaterland, meinen Sie?«
Schlotterbach schwieg.
Hummel hatte die Füße gegen das Kamingitter gestreckt, die Wärme stieg wohlig in seinen Gliedern empor. Die Zigarre war ausgezeichnet, der Sessel bequem, das
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