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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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Werke zu schaffen für die Zukunft. Unsere Zukunft aber, das ist unser kleiner Bub da oben, und der wird uns noch genug Nüsse zu knacken aufgeben. Sieht er nit grad so aus, der Lausbub?« Aus seinen schmalen Augen glänzte eine ungeheure Vaterfreude.»Ein reizendes Kind,« sagte Hummel aufs Geratewohl. Der Knabe hatte ihm flüchtig gefallen. Wie er aussah, hätte er in diesem Augenblick schon nicht mehr zu sagen gewußt.
    »Haben Sie sich gut im Elsaß eingelebt?« fragte Françoise konventionell.
    Hummel antwortete in gleicher Weise.
    »Und Madame Hummel?« fragte sie tastend.
    »Ihr ist es wohl schwerer geworden. Meine Nichte stammt aus Ostpreußen und aus einer Offiziersfamilie.«
    Eine Nichte also, keine Frau! Françoises Gesicht war plötzlich ganz hell geworden.
    Hummel fuhr fort: »Alle ihre Gewohnheiten sind streng preußisch. Es empört sie, wenn man sie in den Kaufläden französisch anredet, und sie behauptet, man fordere den Deutschen doppelte Preise ab. Ihre Mädchen läßt sie sich aus Königsberg kommen. Die hiesigen wären alle Trinkerinnen.«
    Françoise lachte. Sie stand auf. »Der Baron läßt sich erwarten,« sagte sie heiter. »Täuschen wir unsere Ungeduld, indem wir ein wenig in den Garten gehen. Der Mond scheint.«
    »Der Mond scheint,« wiederholte Hummel. Und in seinem Munde bekam der kleine Satz einen Klang von Poesie, vielleicht Erinnerung. Françoise mußte gegen ihren Willen auf einmal daran denken, daß sie diesen Mann da einmal unsinnig gern gehabt hatte. Ohne aufzusehen, ließ sie sich von Pierre in einen schönen, rotseidenen Schal wickeln, den er herbeigeholt hatte. Hummel stand dabei und sah ernsthaft zu.
    Im Garten war es lau und dunstig. Eine Feuchtigkeit, die duftete. Françoise ging voran. Die Blicke beider Männer folgten ihr, wie sie langsam und rhythmisch vor ihnen her dem Mond entgegenschritt, den Kopf emporgerichtet, schweigend, wie nachtwandlerisch.
    »Wie sich das verändert hat,« rief plötzlich Hummel erschrocken. Erst jetzt hatte er bemerkt, daß die prachtvollen Kastanien der Allee gestutzt und von den Jahren völlig verkrümmt waren. Böse, feucht und schwarz standen sie da. »Alles verändert,« wiederholte er fast vorwurfsvoll.Françoise sah ihn lächelnd an. Und in ihrer Stimme, die sich gegen Rührung wehrte, klang es wie Schadenfreude, als sie sagte: »Nichts bleibt bestehen, Herr Geheimrat, nichts kommt wieder.«
    Pierre hatte wieder seine gute, schützende Bewegung zu Hummel hinüber. »Das hat der Brand gemacht,« sagte er dann. »Er hat die schöne Allee verwüstet.« Er redete weiter: »Im Sommer, wenn die Zweige voll Blätter sind, scheinen sie ganz jung; sie blühen; gerade wie Kerzen stehen die weißen Trauben in die Luft. Aber jetzt, nein, hierher müssen Sie sich stellen, so daß Sie auch die Silhouetten auf dem Boden sehen können.«
    Hummel gehorchte und betrachtete nun bald die krausen Äste selber, bald ihr wunderliches Abbild auf dem Kiesrondell, an das sie nun gelangt waren; dasselbe, in dem einst Luciles Hängematte geschaukelt hatte inmitten friedlicher Blütenbüsche.
    Jetzt hier schien alles Kampf, Haß und Aufruhr. Aufgebäumte Leiber streckten sich zueinander, verknäulten sich und schickten wie hilferufend kraftlose Arme aus. Lange Spinnenbeine griffen in die Luft. Spitze Zungen bleckten sich wütend entgegen, Schuppenbeine mit grauenhaft gekrampften Zehen traten hilflos flehenden Baumweibern auf Brüste und Hüften. Vom Mondlicht gigantisch verzerrt und wie sich regend, malte sich diese phantastische Gigantomachie auf dem hellen Kiesboden. Hummel wagte kaum zu treten zwischen den Gespenstern. Er sah auf Françoise, die schweigend dastand, ihr Schal blutrot über der steingrauen feinen Wolle des Kleides. Der starr in sich versenkte Ausdruck, mit dem sie auf die Tiersilhouetten auf ihren Füßen blickte, löste in dem erregten Gelehrten eine mythologische Vorstellung aus. »Kirke,« sagte er halblaut.
    Pierre hatte es gehört und lachte frisch. »Und ich der Bär? meinen Sie.«
    »Ich jedenfalls die Eule,« fügte Hummel gewandt und heiter ein. Er hatte in Françoises Miene gesehen, daß sie ihm aus irgendwelchem Grunde nicht mehr böse war.
    Und wirklich hatte seine Äußerung eben sie von aller Unsicherheit erlöst. Denn sie war Frau genug, es zu genießen, daß er sie neu bewunderte, und daß sie sich nicht gegen seine Verachtung zu wehren hatte. Viel eher sogar ihn müßte sie beschützen. Damit war eine tief mütterliche Empfindung

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