Die Verborgene Schrift
vor der Türe die Hüften schlanker.
Als sie in den Salon kam, standen sie schon da: Pierre und ein völlig Fremder; ein deutscher Geheimrat mit Brille, grauem Bart und nicht ganz gut sitzendem, dunklem Rock. Eine tiefe, köstliche Beruhigung kam über Françoise. Mit anmutiger Bewegung streckte sie dem Fremden, der sich zweimal schweigend vor ihr verneigte, die Hand hin, die er behutsam nahm und hielt, ohne viel damit anzufangen.
Françoise dankte ihm in fließend wohlgeordneten Worten für seinen Beistand bei Martin und berichtete, daß es dem Kindegut gehe. Wenn der Kleine jetzt nicht schlafe, würde er dem fremden Onkel Doktor sicher gern selber gedankt haben. Dann fügte sie in leichtem Ton hinzu, sie freue sich darauf, recht viel von ihm zu hören.
Pierre stand dabei und hatte eine gute, wie beschützende Geste nach dem Geheimrat hin, die Françoise belustigend vorkam. Allerhand nichtsnutzige Instinkte kamen in ihr auf und ließen sie hochmütig lächeln. Pierre sah sie an. »Nicht doch, nicht doch,« schien er zu sagen.
Wie es ihm in Straßburg gefalle? fragte Françoise, und es sei schade, daß das Wetter nicht besser sei. Hummel hatte bisher nur das Notwendigste geantwortet, karg, wie verbissen. Er war zerstreut eingetreten, hatte weniger an Françoise gedacht als an ihren Mann, der ihm interessant geworden war in der kurzen Zeit. Dann aber sah er sie. Mit der hohen Frisur, die sich steil über der Stirn erhob, erschien sie größer als früher. Ihr silberblondes Haar, unmerklich ergrauend, stand metallisch ab gegen ihr von der Gesundheit der Frauenreife kräftig getöntes Gesicht. Sie hatte etwas Majestätisches bekommen in Haltung und Gestalt.
Wie eine Marquise, dachte Hummel überrascht. Mit zufriedener Gründlichkeit betrachtete er sie. Die Erlesenheit ihrer Erscheinung gab ihm vor sich selber die Rechtfertigung dafür, daß diese Frau ihn einmal sehr glücklich und sehr unglücklich gemacht hatte. Aufmerksam, als gälte es Art und Klasse eines Naturwerkes zu bestimmen, folgte sein Blick der noch immer strengen Linie ihrer Arme, die sich unter dem engen Ärmel rein abzeichnete, hob sich wieder zu ihrem Gesicht, um sich, wie vervollständigend, dann auf Pierre zu richten. Der blaue jünglinghafte Strahl, den der Ergraute dabei emporschickte, verwirrte Françoise einen Augenblick. Sie verlor von neuem ihre Sicherheit. Und als sich jetzt ihr Mann, vertraut wie zu einem Verbündeten, zu dem Besucher wandte, der ihm ebenso vertraulich antwortete, kam ein merkwürdiges Gefühl der Eifersucht über sie. Sie sah von einem zum andern, fühlte sich ausgeschlossen, beiseite geschoben, fast vernachlässigt.Und spürte es dabei gar nicht, daß der gute Geheimrat sich noch einmal kopfüber in sie verliebt hatte.
Françoise hatte sich niedergelassen und war wieder aufgestanden, noch ehe die beiden Herren sich über ihre Plätze vor ihr schlüssig geworden waren. »Vielleicht unterhält es Monsieur Hummel, die Bilder zu sehen, die seine Tante Amélie mir vor dem Verkauf des ›Bourdon d'or‹ geschenkt hat?« Sie zeigte auf ein paar viereckig gerahmte Pastellbildchen, die in der breiten braunen Türnische hingen: Jules Bourdon und der tolle Hummel. »O, ich habe noch etwas anderes aus der Pharmacie,« sagte sie. »Den neuen Besitzer interessierte es nicht. Da kaufte Monsieur Füeßli es ihm ab für mich.« Sie wies auf ein altes braunes Kästchen, das auf dem schön gemaserten Zierschränkchen stand. Pierre ging auf ihren Wink heran, ein Uhrwerk schnurrte ein wenig, und auf einmal – Françoise hatte die Hände erhoben, um Stillschweigen zu gebieten – hörte man das seine alte Stimmchen des Spieldöschens »Mich fliehen alle Freuden« singen.
»Die alte Zeit,« sagte Hummel lächelnd. Seine Augen wurden blank vor Bewegung, aber er nahm sich zusammen. »Wie schön, daß Sie sich hier so mit alten Erinnerungen umgeben, gnädige Frau,« sagte er verbindlich.
»O ja« – sie hatte jetzt Lust ihn zu quälen – »es ist das beste Mittel, ihnen zu entgehen, Monsieur Hummel. Sie wissen, die Bilder, die man in die Stuben hängt, sieht man gar nicht mehr. Sie sind nur der gewohnte Fleck da an der Wand.«
»Ah bah, Erinnerungen,« rief Pierre dazwischen, und Françoise bemerkte mit Staunen, daß er ein wenig lärmend sprach, so als ob er sich völlig unter den Seinen fühlte. »Vorerst schaffen wir uns noch neue, ehe wir darangehen, die alten zu sammeln. Wir haben nicht wie Sie, Herr Geheimrat, wissenschaftliche
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