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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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unverwüstlich.
    Aber Hummel, fast schwatzhaft geworden, fuhr fort: »Als ich damals von Thurwiller fort ging, hier diesen selben Weg, den wir jetzt fahren, in der Dunkelheit auf einem Milchwagen, heimlich wie auf dem Schub, da habe ich dem Städtchen bei meinem Abschied zugerufen: ›Ich komme wieder, zu erobern was mein ist.‹ Ich hatte damals, heute kann ich es wohl sagen, mir Hoffnung gemacht, einmal hier heimisch zu werden. Nun ist es anders geworden. Zurückgekommen ins Elsaß bin ich ja, aber nur gemächlich wie ein Erbe. Trotzdem – hatte ich nicht am Ende recht damals? Müßte ich nicht jetzt – Sie kennen wohl das Wort von Goethe – endlich anfangen, auch zu erwerben, was ich ererbt habe, um es wirklich zu besitzen? Daran denke ich in diesem Augenblick.«
    Der Alte redet wie im Rausch, dachte Arvède wieder, der Bocksbeutler ist ihm zu Kopf gestiegen.
    »Und noch eins wird mir klar,« sagte Hummel wieder: »Paßt das Goethewort, das ich eben zitierte, nicht auf uns Deutsche hier überhaupt? Müßten wir nicht dieses Land uns erst erwerben, das wir eroberten?«
    Der Baron nickte wohlgefällig. »Schön wäre das, Herr Geheimrat. Und manches wäre besser geworden, wenn man hier in deutschen Kreisen so gedacht hätte.«
    Hummel hörte nicht auf ihn. »Ich werde mir das elsässische Volkstheater ansehen,« fuhr er begeistert fort. »Ich werde mir die ›Elsässische Rundschau‹ halten und die ›Revue alsacienne‹ . Die jungen elsässischen Studenten will ich in mein Haus ziehen, die Kinder meiner Nichte sollen Umgang haben mit den elsässischen Kindern, nicht nur mit Militär- und Beamtenfamilien. Ich will mich umsehen von heute ab, will nicht länger sitzen auf meiner Professoreninsel.« Er sah nach dem Mond empor, der hochmütig mit ihnen ging.
    »Famos, famos,« sagte Meckelen. Und im stillen fügte er hinzu: Diese Deutschen sind doch unberechenbar. Kommt jetzt aus diesem berühmten alten Geheimrat noch einmal der studentische Schwärmer herausgaloppiert, der ewige, unzerstörbare Idealist, der echte Deutsche.
    Und es fiel ihm ein, daß ja auch er von diesem ewig unzerstörbaren deutschen Idealistenblut in seinen Adern trug.

Fünfter Teil
    Das Jahr 1914 war zur besten Hälfte durchlebt. Martin Füeßli, »das Silberkind«, jetzt junger Student, hübsch, elastisch, kam im Tennisanzug, mit dem Schläger in der Hand, im Schmuck seiner braunen Locken barhaupt, wie es die Jünglingsmode des Jahres heischte, aus seiner »Bude« am Metzergießen zu Straßburg. Er ging auf der Sonnenseite. Absichtlich. Ihm war es ein Genuß, sich von der Julihitze dieses Spätnachmittages durchbrennen zu lassen, so stark, daß er die Sonne zuletzt wie ein fließendes Feuer in seinen Adern fühlte, ein glühender Strom, der tanzen macht. Die ganze Ungeduld einer Generation war in ihm, die, kurz vor der verheißungsvollen Jahrhundertwende geboren, sich nun, erwachsen, in die Ereignislosigkeit versetzt fand. Bei Martin Füeßli, dem Spätling seiner Familie, kam noch anderes hinzu. Ihm steckten die Erregungen der Kriegszeit noch lebendiger im Blute als seinen Altersgenossen, Sprößlingen von Leuten, die »l'année terrible« nicht oder höchstens als Kinder mit erlebten, die längst Beruhigte, Resignierte oder gar Zufriedene geworden waren. Viele dieser jungen Leute freilich ließen sich, wenn sie nach Straßburg kamen, um da zu studieren, in den Cercle Alsacien aufnehmen, sie spazierten auch getreulich jedes Semester einmal um das Kleber-Denkmal herum, und sangen herausfordernd die Marseillaise, sie schnitten Gesichter, wenn Offiziere in das Kaffee eintraten, in dem sie saßen; sie belustigten sich damit, jedesmal, wenn sie eine Briefmarke aufklebten, verächtlich auf den preußischen Adler zu tippen und zu singen: »Mir wolle d'r deutsch Ganser net! übers Bachle mit denne Hergeloffene.«
    Bei den meisten aber bedeutete das nicht mehr als jeder andere studentische Ulk. Und es geschah viel weniger aus Liebe zu Frankreich, das sie nicht kannten, und mit dem sie prahlten,wie arme Verwandte mit einem reichen Onkel prahlen, der nichts für sie tut –, es geschah allein in der Hoffnung, einmal ein kleines Skandälchen, vielleicht sogar eine Sensation zu erleben. Und ihre kleinen politischen Demonstrationen vertrugen sich ebenso gut mit dem Streben nach einem einträglichen Philisterposten im Ländle oder im Reich wie mit einem ausgiebigen Lebensgenuß im Rahmen der reichsländischen Verhältnisse. Daneben trieb diese allzu

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