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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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ausgeruhte Jugend systematisch ihren Sport, machte Wettläufe, Turnfeste und Ruderfahrten und übte jede Art von wissenschaftlich geregelter Leibesübung.
    Dem jungen Martin Füeßli genügten alle diese studentischen Zeitvertreibe nicht. Auch er gehörte, in einer gewissen Reaktion gegen seine deutschfreundliche Schulbubenvergangenheit, dem Cercle Alsacien an. Auch er sang mit am Kleber-Denkmal. Aber mitten zwischen diesen patriotischen Spielereien kam ihn manchmal ein Zittern der Tatkraft an, ähnlich dem wartenden Rennpferde vor dem Lauf. Eine Tatkraft, die noch ihr Ziel nicht kennt, kaum weiß, kaum sucht, die nur gierig umherwittert. Namentlich seitdem er in Straßburg war, schien ihm die Luft wie mit Ereignis geladen.
    Wirklich fiel auch seine Ankunft dort in eine erregte Zeit hinein. In der kleinen unterelsässischen Stadt Zabern, unweit Straßburg, war die Bürgerschaft durch den Übermut eines jungen Leutnants beleidigt worden. Und diesmal waren es nicht die Elsässer allein, die sich entrüsteten, auch unter den Altdeutschen machte sich Widerspruch laut. Die Schlagworte »Militärherrschaft«, »junkerliche Anmaßung« flogen umher. Man warf der Regierung vor, parteiisch für die Armee zu sein, verlangte deutlichere Bestrafung des jungen Offiziers, der den Mißgriff getan. Ihnen gegenüber standen dann die Regierungsfreundlichen, deren Fühlen sich in ein paar Substantiven wie »Armee, Disziplin, Unterordnung« befriedigte. Auch ihnen wurde das Ereignis zum Anlaß, ihre gewohnte Tradition lebendiger und bis zu wirklicher Erhebung umzugestalten. Mit Eifer verfolgten sie den unlängst vom Kaiser bei einem Frühstück in Straßburg geäußerten Gedanken, das Elsaß ineine preußische Provinz zu verwandeln. Sie trugen dadurch ihrerseits dazu bei, das Sonderbewußtsein der Elsässer bis zur Wut zu schärfen und sie in die heißeste Opposition hineinzudrängen.
    Auf dem Broglieplatz, wo die Stühle des nebeneinanderliegenden deutschen und französischen Kaffeehauses sich fast berührten, wurde leidenschaftlich diskutiert. Hier französisch, dort deutsch. Martin Füeßli, sonst meist zuschaulich und langsam das Gehörte nachprüfend, tat plötzlich den jungen roten Mund auf und redete Dinge, über die er bisher nie eine Meinung gehabt hatte. Irgendein Stoß trieb ihn vorwärts, daß er sagen mußte:
    »Was die da drüben und die im Lande, und auch die drüben überm Rhein jetzt reden, das ist zu uns hin gesagt, zu uns Jungen. Darum müssen wir unsere Ohren auftun und hören, ob da irgend etwas ist, das uns wirklich angeht.
    Da hören wir von der einen Seite nichts als Verordnungen und Befehle auf uns zuschreien, von der anderen flüstert man Schmeicheleien und Versprechungen für uns. Einen wirklichen Ruf aber, der zu unseren Herzen spricht, den haben wir noch nicht gehört. Nicht wahr? Darum stehen wir noch und warten. Wir haben keinen culte du passé getrieben, wir Jungen, und keine Zukunftsmusik. Wir haben gewartet darauf, daß man uns ruft, so ruft, daß wir kommen müssen. Von welcher Seite es auch sei. Wir warten.«
    Dann ist der Wirt gekommen und hat gebeten, man möge vorsichtig sein, und Martin Füeßli ist sich einen Augenblick wie ein Held vorgekommen. Die anderen haben sich halb herausfordernd, halb ängstlich umgesehen. Als aber, wie gewöhnlich, nichts geschah, ist man ernüchtert voneinander gegangen ...
    Und nun spaziert Martin Füeßli da mit dem Tennisschläger an der alten Rabenbrücke umher, unentschieden, ob er rechts gehen soll, den Schiffsleutstaden entlang und durch das deutsche Universitätsviertel mit seinen breiten, regelmäßigen Straßen, die Martin nicht liebt, nach der Rupprechtsauer Allee bummeln, bis zu seinem Tennisplatz in der Orangerie, oder ob er nicht vorher schnell einmal nach dem Thomasplatz hinüberspringensoll zu seinen Verwandten, den Blancs, und versuchen, Kusine Jeannette mitzukriegen zum Spielen.
    Einen Augenblick sieht er unentschlossen den Weibern zu, die, sich weit über den Rand der längs der Ill festgeankerten Waschkähne hinüberbeugend, ihre Wäsche am Kanalrande reiben und spülen. Heißer seifiger Brodem mischt sich mit dem goldbraunen Wasser, das im Sonnenlichte Blasen zu werfen scheint. Sie wird ja nicht mitkommen, die Mutter erlaubt es nicht. Aber schon ist er nach links eingeschwenkt und marschiert nun eilig an all den traulich engbrüstigen Giebelhäusern des Stadens mit ihren grünen Holzjalousien vorbei, blickt gewohnheitsmäßig erfreut über den

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