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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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mit hohen, dreigeteilten Fenstern zwischen demdunkeln Getäfel unter einer schwer und kunstvoll kassettierten Decke würdig dalag. Der Schreiber führte Hummel selbst umher, zeigte ihm das kostbare Schnitzwerk der alten Eichentür und die Zerstörungen, die bei der großen Revolution der Pöbel daran verübt hat. Dann gingen sie wieder über den weiten Treppenflur nach der anderen Seite des Gebäudes zurück. Sartorius zeigte das aus einem einzigen Eichenbaum geschnittene, in sich selbst kunstvoll hineingedrehte Treppengeländer, das Hummel beim Heraufstürmen nicht beachtet hatte.
    »Ein Bau aus guter deutscher Zeit,« sagte der Alte. »Sie sind Deutscher, mein Herr? O, ich kann zu Ihnen auch gutes Hochdeutsch reden; ich habe in Tübingen studiert. Und dann bin ich auch ein Pfarrerssohn aus dem Reblande. Die Pfarrer und die Philologen haben bei uns noch nicht aufgehört, das Deutsche zu pflegen. Ihr Schiller und Ihr Uhland stehen in unseren Bücherregalen.«
    Es freute ihn augenscheinlich, als Hummel sein gutes Deutsch so rühmte, und wirklich hatte das Sprechen des alten Herrn etwas dermaßen Trauliches und Naives, daß Hummel sich noch einmal fragen mußte: Ist das wirklich Welschland? Frankreich?
    Sie waren jetzt in einen der leeren Säle getreten, schmal und hoch, die ganz mit großen Schränken bestellt waren. Mächtige Schlüssel steckten vertrauensvoll in den alten Schlössern. Mit dem Stolze des Sammlers zog der Ratsschreiber die Fächer auf und kramte allerhand Kuriositäten heraus. Dann zeigte er den Riesen-Meteorstein, eine schwarze Eisenmasse, dreieinhalb Zentner schwer, die im Jahre Vierzehnhundertzweiundneunzig bei einem großen Gewitter vom Himmel fiel; zuletzt alte Karten und Dokuments. Seine Augen leuchteten. Unermüdlich bückte und beugte er sich, wie eine rosige Kugel wölbte sich seine Glatze inmitten der feinen weißen Härchen.
    Er zeigte alte Kupferstichs, die Schenkungsurkunde Ferdinands des Ersten mit dem großen Siegel, eine Verfügung Rudolfs von Habsburg – alles zusammen in durchaus nicht einwandfreier Art in zerrissenen Mappen und brüchigen Zigarrenkisten untergebracht.
    »Und nun sollen Sie auch etwas von Ihren cousins zu sehen bekommen.« Und er zeigte ihm den Kaufkontrakt über die Apotheke von Thurwiller, die der Vater von Onkel Camille erworben hatte.
    »Ja ja, die Bourdons, sie haben sich arg verändert, seit daß sie über den Rhein flogen. 's isch halt immer ein wenig gefährlich mit dene zwei Sprache, gar zu leicht werde sie zweizüngig, d' Leut. 's hat g'nug solche im Elsaß. Falsch heißt m'r sie dann! Aber das isch g'fehlt. Gefällig sind sie worden, um daß man sie in Frieden läßt.«
    »Und Sie halten diese Zweizüngigkeit, von der Sie reden, für ein Resultat der elsässischen Geschichte?« fragte Heinrich lernbegierig.
    Aber der Ratsschreiber machte eine abwehrende Bewegung. Er ließ sich nicht gern in seinem eigenen Ideengang stören. Kurzsichtig und ein wenig schwerhörig wie er war, hatten sich ihm die Pforten des Gegenwärtigen sehr verengt. Das genoß er wie eine Befreiung. Unbehinderter gab er sich so seiner Gedankenwelt hin, »der wirklichen«, wie er sie nannte.
    »Ich weiß nicht, ob Sie sich entsinnen,« sagte er, in das Französische zurückfallend, und blätterte mit leisen zärtlichen Fingern in seinem unordentlich gebauschten Manuskript. »Damals im dritten Jahrhundert,« las er, »in der Zeit der fränkischen Herrschaft – ›das Land der Eli-Sassen‹ hat man das jetzige Elsaß geheißen, das Land der Fremdsitzer. Und das ist es geblieben bis auf den heutigen Tag, ein kleines Volk zwischen zwei starken, ein Volk zwischen den forts .«
    Er hob, das Wortspiel andeutend, belehrend den Zeigefinger, dann klappte er das Heft zusammen. »Kein Wunder, wenn die Leute Windfahnen würden. Aber, glauben Sie mir, mein Herr, das sind sie nicht, das sind nur wenige unter ihnen. Die meisten sind treu, vielleicht sogar zu treu. Meistens freilich der Vergangenheit. Das Herz, wissen Sie, geht langsameren Schritt als die Vernunft, es braucht Gewöhnung. Und der Elsässer kann nur mit dem Herzen politisieren. Starrköpfig sind wir, das ist wahr, aber einem Zwang, den wir uns freiwilligmit unserem Herzen gewählt haben, dem gehorchen wir dann auch, dem opfern wir uns bis zum letzten Atemzuge.«
    Er sagte das alles leise, fast trocken, schien aber dennoch betroffen, sich so weit ins Gefühlsmäßige verloren zu haben, denn es war eine leise Scham in seiner Stimme, als er

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