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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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Religion anhange.
    Thurwiller, den 5ten Hornung 1791.
    Honoré Balde, Curé.«
    Ja, ja, so sind sie alle, die Baldes, getreu dem, was sie einmal beschworen haben. Und das – er lächelte sein feines Greisenlächeln – das bedeutet bei dem raschen Herrschaftswechsel hier im Elsaß fast für jede Generation ein Festhaltenam Gestrigen. Die große Revolution machte die Königstreuen zu Vaterlandsfeinden, der begeisterte Republikaner sollte sich in der Eile zum Nationalgardisten umwandeln, dann galt es wieder Untertan zu werden. Aber die Baldes, ja, die sind jedesmal Kämpfer für das Entwertete gewesen, liebe, unpraktische Leute. Er kennt sie alle, das ganze Geschlecht; alle sind sie seine guten Freunde, sein täglicher Umgang.
    Da ist zuerst Dorte Balde, das unselige Weiblein, die man als Hexe verbrannte, weil sie an Vieh und Menschen Wunderkuren machte. Dann ihre Söhne und Enkelsöhne mit Allongeperücken und den massigen gescheiten Gesichtern. Unter ihnen der berühmte »deutsche Horaz«, der Pater Jacobus Balde, und späterhin eben der Curé, starknackig und fest, ein paar treue, dunkle Augen unter dem gepuderten Haar. Martin Balde, der heutige Maire, glich ihm.
    Und dann sieht er den Neffen des Curé, den reizenden blonden Frédéric mit seinen schwarzen Feueraugen, aufbrausend, unzufrieden, ein Sohn der Revolutionszeit.
    Der Alte am Fenster schaut über den Platz. Da wo drüben jetzt die große goldene Hummel blinkt, da hat der bestgehaßte Mann des Elsaß, Eulogius Schneider, neben seiner kleinen blanken Guillotine gestanden. Das Beil hat aufgeblitzt, und Curé Baldes Haupt ist auf das heiße Pflaster gerollt. Der junge Frédéric aber hat sich aufgerichtet, ganz blaß, die Augen flammend, hat die blonden Locken geschüttelt und seines Oheims Mörder, dem gefürchteten Mann, ins Gesicht gespien. Man hat ihn ins Gefängnis geworfen. Der Umschwung der Geschichte befreite ihn wieder. Später in einem Stadtamte zu Ehren gekommen, brachte ihn seine Weigerung, dem Usurpator Treue zu geloben, um Amt und Brot. Lieb und unpraktisch wie alle Baldes! Der blonde Frédéric mußte es aber noch erleben, daß sein jüngster Sohn Octave, nachdem er ganz bürgerlich brav in eine der ersten Thurwiller Familien eingeheiratet hatte, Frau und Kind im Stich ließ und zu Napoleons Fahnen schwur. Erst als Krüppel kam er, nachdem er ein halbes hundert Schlachten für seinen Abgott mitgefochten hatte, nach Thurwiller zurück.Nun war der auch tot. Und sein Sohn, der Martin Balde, hatte schon erwachsene Töchter. Ja, ja, die Baldes!
    Und mit seinen Kinderaugen, denen das Geisterreich vertraut war, schaute er den Thurwiller alten Geschlechtern nach, wie sie da vor ihm aus seinen Büchern und Papieren aufstiegen.
    Endlich nahm er seine Arbeit wieder auf, ein ungefüges, mit französischer Schrift kreuz und quer bedecktes Manuskript. Er schlug die Blätter bald hier, bald dort auf.
    Als Heinrich Hummel eintrat, sah der alte, gelehrte Anselme tiefverworren in das fremde Gesicht.
    Heinrich erklärte, er sei gekommen, die Erlaubnis zu erbitten, das alte Stadthaus besichtigen zu dürfen, das ja eines der schönsten im ganzen Elsaß sein solle.
    »Die Geschichte des Elsaß ist sehr interessant,« sagte der Alte, verträumt in seinem Gleise weiterfahrend, auf französisch. »Seit dem dritten Jahrhundert kommen die Alemannen über den Rhein, dann die große Schlacht, bei der Apostata siegte. Sie wissen doch – alles zurückgetrieben – und dann – Sie entsinnen sich wohl – breiteten sie sich wieder bis zu den Vogesenpässen aus. Seit dem fünften Jahrhundert sehe ich sie immer an beiden Ufern des Rheins. Hier, nicht wahr?« – er zeigte auf eine alte Karte, die vor ihm an der Wand hing – »hier sind die fränkischen Ansiedlungen bis in den Hagenauer Forst. Aber mit wem habe ich eigentlich – was verschafft mir das Vergnügen?«
    Hummel erklärte ihm nach Kräften sein Woher und Weshalb. Der Alte nickte. »Die Bourdons, alias Hummel, o ja.« Er machte eine Bewegung ins Zimmer hinein, als gelte es, eine Menschenansammlung in Gruppen zu ordnen, eine rechts und eine links. Aber er äußerte sich nicht weiter. Schweigend nahm er ein großes Schlüsselbund vom Nebentische, ergriff den jungen Besucher väterlich bei der Hand und führte ihn aus dem Sälchen, in dem er arbeitete, durch einen hallenden, gewölbten Flur mit ausgetretenen Steinfliesen hinüber in den großen, schönen Sitzungssaal, der in den reinen Verhältnissen der Renaissance

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