Die Verborgene Schrift
damit die Kinder. Es sah burlesk aus im heißen Sonnenschein.
Es war eine kleine lustige Karawane, die das Balde-Haus am Nachmittag nach der Sulzer »Kilbe« entsendete, voran der Doktorwagsn, vom Maire selbst gelenkt, im Fond Frau Balde mit ihrem heute morgen hier eingetroffenen Bruder. Pfarrer Eusèbe Blanc war ein schmaler, intelligent aussehender Mensch mit dunklem gelocktem Haar und einer liebenswürdigen Stimme, der man gut sein mußte. Er zeigte dieselbe Ruhe und vornehm wirkende Gelassenheit wie Frau Balde. Sehr wohl schien er sich zu fühlen da im Kütschchen neben der Schwester, die er liebte. Seine Ehe daheim mit einer geborenen Straßburgerin, hausbacken und dabei vergnügungssüchtig, machte ihm dies Beisammensein mit der Frau seines eigenen Blutes zum Ausruhen zugleich und zur Belebung.
Wie sie jetzt über die Thurbrücke fuhren, wandte er sich, nach den jungen Leuten zurückzuschauen, die im langen Bankwagen der »Krone« unter Dugirards und Hortenses Schutzfolgten. Die Blumenhüte der Damen, das helle Geplauder, das herüberklang, das Lachen und Sichzueinanderneigen dort freute ihn.
»Nichts Gesunderes als der Anblick von Schönheit und Fröhlichkeit,« sagte er ein paarmal. Seine schmale, feste Hand suchte die feste, schmale der Schwester.
»Net so karessiere, sunsch bin i jaloux !« sagte Balde. Er sprach Elsässisch, um neckend sich abseits zu stellen von den beiden Franzosen, als seien sie gegen ihn verbündet.
Im großen Wagen saßen auf der einen Seite die Damen: Hortense, Françoise und Lucile, auf der anderen Dugirard, Hummel und der junge Schlottelbach. Heinrich war froh, mitfahren zu dürfen. Er hatte gefürchtet, seine Verwandten würden ihn mit Beschlag belegen. Aber der Onkel hatte einen leichten Gichtanfall bekommen, und die Tante pflegte ihn. So waren sie gezwungen, ihren Gast der feindlichen Partei abzutreten.
Ihm gegenüber die Schwestern hatten helle Kleider an, ihre Hütchen lagen ihnen wie Studentenkäppi über der Stirn. Lucile trug einen Matrosenhut mit Bändern, über dem Haar ein dichtes blaues Chenillenetz gegen den Staub. Victor Hugo hatte wieder sein romantisches Schottenkostüm an. Man lachte über nichts und alles. Wie goldene Leuchtbälle flog es durch die Luft, Scherzreden und Gelächter. Nur der arme Dugirard war nachdenklich, die Drohungen und Warnungen der alten Louisen bohrten in ihm. Er fühlte sich unbehaglich in dem unkleidsamen Amte eines Wächters. Hortense dagegen war wie im Rausch. Diese Fahrt mit ihren Erinnerungen an so viele schöne Vergangenheit machte sie glücklich. Lucile amüsierte sich köstlich. Mit einer gewissen Ranküne sah sie auf Françoise, der niemand huldigte, während sie selbst sich unter den Blicken des jungen hübschen Deutschen wußte und mit Victor Hugo plauderte, der, von seinen Eltern verständigt, der künftigen kleinen Frau nach Kräften den Hof machte. Sein Herz gehörte Françoise, aber das hinderte ihn durchaus nicht, der Kleinen seine schönsten Augen zu machen und sich zu überlegen, daß Paris doch einen ganz besonderen Schick verleihe, der denhiesigen Damen fehle. Dazwischen blickte er ein wenig erstaunt auf seinen Abgott, der so hübsch aussah und so tat wie ein Eisblock. Eben wieder sah er mit seinen blauen, klaren Augen so merkwürdig zwischen Lucile und Françoise hindurch in den Himmel hinein, als säßen anstatt zweier hübscher junger Mädchen ein paar Säcke voll Mehl vor ihm, und er habe Angst, sich vollzustäuben, wenn er ihnen zu nahe käme. Er schien gar nicht daran zu denken, daß es unartig sei, schönen Frauen gegenüberzusitzen und zu schweigen.
Nein, in der Tat, Hummel dachte nicht daran. Er war eben, während er mit Dugirard Jagd- und Angelgeschichten tauschte, damit beschäftigt, Françoises und Luciles Profile zu vergleichen und zu finden, daß es nichts Verschiedeneres gäbe und daß natürlich das französische Gamin-Gesichtchen der Kleinen das interessantere sei. Françoise, die – ja, die sah eben wie ein liebes deutsches Mädchen aus. Nichts Auffälliges. Aber, er war gewissenhaft, um diese Tatsache zu konstatieren, mußte er fortwährend auf sie hinsehen. Dabei litt er unter dem Gefühl seiner deutschen Schwerfälligkeit, das er heute nicht los wurde, und das ihn in seinen eigenen Augen herabsetzte. Er ahnte nicht, wie hübsch er allen erschien in seiner kernigen blonden Frische und seiner Ruhe, sicher zwischen den Beweglicheren.
Inzwischen erzählte Dugirard vergnüglich weiter von
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