Die Verborgene Schrift
Hortense Dugirard zu Hummel, »eine geborene Freiin von Stein aus Nassau und immer noch ein wenig Madame Bismarck, obgleich sie im Herzen gute Französin geworden ist.«
»Was verstehen Sie unter Madame Bismarck?«
»O, die Art, wie sie sich kleidet.«
Désirée kicherte lustig. »Ich habe sie gesehn, sie trägt die Haare aus dem Gesicht gerissen, hinten einen kleinen Knoten und dazu eine dicke falsche Flechte über dem Scheitel, die bereits eine andere Farbe hat als ihr eigenes Haar.«
»Ihre Kleidet sind immer vornehm und tadellos geschneidert,« sagte Hortense, »aber sie trägt sie nach der vorletzten Mode und über die nachnächste hinaus. Immer die gleichen. Sie ist vornehm, aber weder elegant noch chic.«
In diesem Augenblick erhob sich plötzlich Dugirard im Wagen und zog den Hut. Oben im Rebgelände wanderten zwei Herren auf sie zu. Ein katholischer Pfarrer mit flatternder Soutane, breitschreitend wie eine behagliche Frau, der andere, trotz der Hitze gleichfalls schwarz gekleidet, mit hohem, steifem Hut.
»Unser Curé mit Monsieur Cerf,« sagte Françoise erklärend, und Dugirard fügte hinzu: »Der Bruder der schönen Demoiselle Célestine.«
Pfarrer Blanc drehte sich um zu den anderen. Er lachte. »Aha, die Herren gehen auf Wählerfang.«
Nun waren die beiden ganz nahe. Sie grüßten zum zweitenmal beflissen in den Wagen hinein, mit um so auffallenderer Nachlässigkeit zu Blancs Kutschersitz hinauf. Auch Hummel erhielt nur einen scharfen Seitenblick. Er hörte das Wort »Prussien« mit einem ungut klingenden Beiwort.
»Das gilt mir, dem Franzosen, ebenso wie Ihnen,« sagte Blanc zu ihm. »Alle Nicht-Katholiken sind diesen Leuten Prussiens.«Dabei machte er den beiden ein Bubengesicht hinterher, was bei seinem sonstigen Ernste komisch wirkte.
»Man glaubt ja im Elsaß,« sagte er dann, »Preußen liegt hinter Rußland und ist von Kosaken bevölkert, die zum Frühstück kleine Kinder fressen.«
Françoise nickte. »So dachte ich auch einmal, aber dann hat mir Père Anselme – – « Sie wurde grundlos rot.
»Ich liebe ihn nicht sehr, diesen Herrn Napoléon Cerf,« sagte Blanc wieder. »Solange er beim alten Füeßli in Mülhausen Sekretär war – der gute Martin Balde hatte ihn dorthin empfohlen – solange gebärdete er sich als Freund der Republik und Freigeist. Und jetzt zieht er mit dem Klerus auf Menschenjagd für seinen Namensbruder auf dem Thron. Das ist nicht schön.«
Dugirard machte sein würdiges Gesicht: »Es gibt Bekehrungen.«
»Die gibt es vielleicht, obwohl« – Er hatte nicht Zeit, seine Meinung weiter zu erklären, denn ein paar lange Bauernbuben, die dem Wagen nachrannten, belustigten sich damit, über die Köpfe der Sitzenden hinweg die Pferde mit Steinen zu werfen. Der »Kronen«-Kutscher drohte mit der Peitsche und jagte sie endlich davon.
»D'Buwe vom fermier Justin dort owe« – er wies mit der Peitsche nach dem Schindeldach, das zwischen den Bäumen hindurchschimmerte. »D'r Justin, jo, seller isch scho a rachter Mann, un er gilt ebbes in d'r G'mein. Awer's Georgette, sine Frau, sell het d'r leibhaftig Satan in d'r Ripp. Un d'Junge gliche d'r Alt' ufs Tipfele!«
Jetzt kam man an den Marktplatz. Schon von weitem sah er aus wie mit Dampf überzogen, der Staub stieg hoch in die Sonne, bis in die Allee hinein roch es nach bratendem, gezuckertem Fett, nach Tabak, Wein und »Kirsch«, man hörte Karusselmusik, zwei verschiedene Melodien auf einmal, Kindertrompeten und das Schreien der Verkäufer, die sich in witzigen Anlockungen überboten, und dem regelmäßig donnerndeLachsalven folgten. Ein brausendes Übereinander war es von Musik, Tiergebrüll und Menschengeräuschen.
An einem der alten Gasthöfe mit rundem Tor, die den Marktplatz einfaßten, stieg man aus, ließ Wagen und Kutscher dort und schob sich nun erwartungsvoll ins Gewühl hinein, allen voran, bewußt heldisch, Victor Hugo als Sturmbock, dann folgte Hortense mit Blanc und Dugirard, zuletzt Hummel mit den beiden jungen Mädchen. Vor der schönen alten Kirche und um den Moritzbrunnen herum war das Gedränge am stärksten. Landleute, Arbeiter und Soldaten mit ihren Frauen, Mädchen, Kindern, dazu die Mädchen aus der Seidenfabrik, auf hohen Absätzen recht zierlich einherstelzend, mit echten und unechten dicken Haarzöpfen und Chignons, sehr parfümiert und sehr geschwätzig; alle mit grellen künstlichen Blumen in den Händen. Prächtig glänzten die goldigen Römerhelme der Pompiers in der Sonne. Kopf
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