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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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es.
    Wie ich sie liebe, dachte Hummel. Dabei fiel ihm ein, daß seine Thüringer Tannenwälder eigentlich wohl schöner seienals diese weichen, bläulich schimmernden Gehölze, und daß Lucile niemals in Tannenwälder hineinpassen würde; dazu müßte sie größer sein und blonder, herber und kräftiger. Unwillkürlich blickte er auf Fräulein Balde.
    Man fuhr jetzt auf der Ungersheimer Straße. Verlockend standen zu beiden Seiten die Kirschbäume, zwischen deren kohlgrünem Laub die kleinen roten Früchte glänzten. »Die Liqueurflacons des Elsaß,« sagte Dugirard.
    Und auf einmal standen die Vogesen da, blausilbrig, kapriziös geschwungen, so wie Heinrich sie bei seiner Ankunft in Thurwiller gesehen hatte. Vorgestern erst? Ihm war, als seien Jahre vergangen. Man fuhr weiter, immer zur Rechten die Thurwiesen, zur Linken Felder. Der Staub wurde lästig. Balde fuhr rascher, die Entfernung zwischen beiden Wagen zu vergrößern. Auf der breiten Straße schleiften die langverzerrten Schatten von Pferden, Wagen und Insassen entlang, griffen mit komisch dünnen Armen gierig zueinander, berührten sich mit langen, langen Nasen, krümmten sich leidenschaftlich, dehnten sich und wuchsen ins Leere. Victor Hugo machte darauf aufmerksam, er hob sich, drehte sich ins Profil, streckte ein Bein empor und arrangierte so immer burleskere Silhouetten. Er wäre beinahe aus dem Wagen gefallen. Alle lachten. Françoise, die seitwärts blickte, hielt sich still. Sie schämte sich. Ihr war auf einmal, als verhöhnten diese burlesken Zerrbilder da unten sie alle. Durch eine schlaflos verbrachte Nacht voll innerlicher Entscheidungen feinfühlig gemacht, spürte sie fast körperlich das Sehnen und Bangen, das sich zwischen ihnen da im Wagen kreuzte. Wie Fangbänder war es, die man einander zuwürfe. Sie selbst mitten drinnen eingefangen, eng, schmerzhaft.
    Da war der kokette Victor Hugo, der abwechselnd ihr, Lucile und Heinrich Hummel Liebesblicke zuwarf, Lucile und Dugirard, die wieder nach ihm hinangelten, Hummel sah nach Lucile, und Françoise selber – Schamröte stieg ihr ins Gesicht. Gleich darauf hatte sie Lust zu lachen. Ihr gesunder Sinn spürte das Komische dieses Durcheinanders. Aber dann seufzte sie wieder, weil sie sich machtlos fühlte gegen sich selbst.Denn alles war seit heute nacht bereits entschieden in ihr und Schicksal. Nur ob es Leiden werden sollte oder Glück das wußte sie noch nicht!
    In dieser Stunde jedenfalls war es Leiden!
    Mit Neid sah sie auf Lucile. Wie machte sie's, daß er sie lieben mußte? Aber dann richtete sie sich kräftig auf. Immerhin! Ohne Kampf würde sie sich nicht beiseite drängen lassen! Sie ward auf einmal im Bewußtsein einer großen Kraft ganz übermütig, holte die alte Guitarre, die sie mitgenommen hatten, unter der Bank hervor und begann, im Fahren etwas trillerig, mit kleiner, weicher Stimme zu singen, was ihr gerade einfiel. Die Geschichte vom Compère Guilleri bei der Rebhuhnjagd, der auf den Baum klettert, um seine Hunde besser laufen zu sehen, ein Bein bricht und von den Damen des Hospizes gesund gepflegt wird. Alle sangen mit:
    »Carabi toto carabé,
marchand d'carabas, Compère Guilleri,
te lairas-tu mourir?«
    Sie war ganz ausgelassen. Alle sahen nach ihr, weil sie so schön wurde.
    Man beschloß jetzt, um dem Staube zu entgehen, den Umweg durchs Isenheimer Wäldle zu wählen. Wirklich fand man dort mehr Frische, Schatten, und unversengtes Grün, ein Bächlein kam mit und sah nach Kühlsein aus. Man fuhr durch das alte, steingraue Isenheim, am Kloster vorbei. An den hohen Mauern entlang stand ein Zug kleiner Pensionärinnen in schwarzen Schulschürzen, die von einer Nonne in Kutte und Flügelhaube reihenweise spazieren geführt wurden. Die rosigen Gesichtchen drehten sich neugierig nach den Fremden. Berthe de la Quine war unter ihnen. Hummel fragte nach der Klosterkirche. Er hatte in dem Reiseführer seines Vaters von einem Altar mit schönen alten Bildern gelesen. Man sagte ihm, die Altargemälde seien alle nach Kolmar verschleppt. Von wem sie gewesen, wußte keiner. Eine Kreuzigung war es und ähnliches. Alles so unangenehm natürlich! Hortense schauderte in der Erinnerung.Man näherte sich Sulz. Herr und Frau Balde verabschiedeten sich, der Doktor hatte hier draußen im Schloß bei der Baronin Meckelen einen Krankenbesuch zu machen. Seine Frau begleitete ihn. Blanc kam in den großen Wagen. Er setzte sich zum Kutscher.
    »Die Baronin ist eine Landsmännin von Ihnen,« sagte

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