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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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im gleichen Frühjahr wie ich ihre Kommunion gemacht, und Mama hat ihr ein Kleid von ihren eigenen dafür gegeben. Ihre Mutter wusch für uns. Das hat sie vergessen. Mais enfin , man darf sie nicht ernst nehmen. Sie liebt es, cette chère dame , sich auf Kosten anderer zu amüsieren. Man muß auf seiner Hut sein.«
    Das war wie eine Warnung.
    »Aber wo ist Victor Hugo?« fragte Schlotterbach. »Ich habe ihn noch nicht umarmt.«
    Schon ein paarmal hatte ein schlankes, anmutiges Gesicht durch den Türspalt gelugt, von Madame Schlotterbach mit einer Handbewegung immer wieder weggescheucht. Jetzt kam der ganze kleine Mensch zum Vorschein: Victor Hugo, der jüngste Schlotterbach, etwa vierzehnjährig, in Kniestrümpfen und Schottenanzug, das helle Haar pagenartig verschnitten. Bourdon und Schlotterbach strahlten. »Ah, da ist er ja!« »Hast du deine thèmes beendet?« »Arbeitest du auch nicht zu viel bei dieser Hitze?« Madame Schlotterbach küßte ihn. »Und die Bonbons, die ich dir hineingebracht habe, waren sie gut?«
    »Vorzüglich! Ich habe sie alle aufgegessen.« Der Knabe sah unverwandt auf Hummel, der ihm gefiel.
    » Bonjour, monsieur le géant ,« sagte er keck. »Guten Tag, Herr Riese!«
    Sein Vater hielt es vor dem Fremden für anstandig, ihn zurechtzuweisen: » Eh, dites donc, jeune homme , so spricht man nicht.«
    Madame Schlotterbach zog ihn wieder an sich und küßte ihm ausführlich das ganze Gesicht.
    »Er ist ein gutes Kind, ein kleiner Gelehrter, ich versichere Sie. Er studiert im lycée in Kolmar. Und er ist schon einHeld, nicht wahr?« Sie küßte ihn von neuem. »Denken Sie, als gestern sein Großvater Schlotterbach ihm einredete, es könne einen Krieg mit Preußen geben, ist er in den fumoir eingedrungen und hat aus der Waffensammlung seines Vaters einen Degen ergriffen. Er wollte uns verteidigen.«
    Heinrich Hummel lachte. Er legte dem hübschen Jungen brüderlich die Hand auf die Schulter. »Gut, daß es mit dem Krieg gegen Preußen nichts ist, da hätte dieser blutdürstige junge Herr vielleicht seine Waffe gegen mich richten müssen.«
    »O nein« – er sah ihn verliebt an – »nie würde ich das! Aber ist denn der Herr Riese Offizier?«
    »Bei uns sind alle gesunden Männer Soldat.«
    »Allgemeine Wehrpflicht,« sagte Schlotterbach. »O ja, ich weiß.«
    »Ich will auch Soldat sein!«
    Madame Schlotterbach wehrte ab: »Aber man könnte dich totschießen, mein armes Kind!«
    Victor Hugo ließ ruhig maman und grand-papa an sich herumhantieren. Madame Schlotterbach seufzte. »O ja, die Kinder! Man hat sie niemals für sich selbst, seine Söhne. Nur die paar Jahre, wenn sie vom Lande von der Amme zurückkommen. Aber da schon teilt man sich in ihren Besitz mit der Bonne. Dann gleich nimmt das lycée sie uns fort, danach les filles und dann der Beruf. Zuletzt die Heirat.« Und sie seufzte wieder.
    Heinrich sah mit Verwunderung, wie das Gezierte von ihr abfiel wie eine Maske und ein ganz echtes, warmes Gefühl ihr in die Augen stieg, daß sie aussahen, wie richtige besorgte Mutteraugen. Die Frau wurde ihm fast lieb in diesem Augenblick.
    Bourdon und Théophile hatten inzwischen vom Streik gesprochen. Bourdon war noch immer tieferbost über das Gebaren des alten Schlotterbach ihm gegenüber. »Und mit Krieg zu drohen!« schrie er. »Ist das nicht sündhaft?! Ja ja« – und er puffte seine Arme einem unsichtbaren Gegner in den Bauch. »Der Krieg wird kommen und ihn strafen. Nie waren wir einem Krieg so nah wie heute, das sage ich, der Pharmacien vom ›Bourdon d'or‹«.
    »Und warum?« fragte der elegante Théophile sanft.
    »Weil, weil – – – man soll den Teufel nicht an die Wand malen, sonst kommt er.« – –
    Als Onkel und Neffe auf dem Heimweg zum Rathausplatz einbogen, fanden sie ihn voll Lärm und Gelächter. Vor der Kaserne stand ein Trupp Lustiger, darunter Kinder und Frauen, sie empfingen mit Händen und Schürzen, was die Soldaten aus den Fenstern warfen, als unnütz bei dem bevorstehenden Wegzug. Wer über den Platz ging, trat hinzu und beteiligte sich. Ein Trupp Dienstmädchen stand kichernd und schluchzend beiseite. Der alte Groff kauerte am Boden und wühlte unter einem Haufen bunter Papierherrlichkeit, Maskenflitter, Überbleibsel des vorigen Faschings. Er behängte sich mit Papierorden, Knallbonbonmützen und Schärpen, daß es raschelte. Zuletzt fand er noch eine scheußliche Witzmaske mit roter Nase und dickem Schnurrbart, die befestigte er am Hinterkopf und scheuchte

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