Die Verborgene Schrift
an Kopf wogte es in der von Buben gebildeten Straße. Da gab es Zuckerzeug für die Kinder, »Bäredreck« und rote, gelbe und grüne gummiartige Schlangen, die gefährlich giftig aussahen, Hampelmänner und Lärminstrumente. Kleine lebendige Katzen lagen schnurrend zwischen dem Backwerk. Jedes Kind tutete, knarrte und trommelte aus Leibeskräften. Hummel wurde an die Jahrmärkte in seiner Heimat erinnert. Er war fast gerührt, als er in einem Spielwarenstand die Arche Noah entdeckte mit genau denselben bunt bemalten Holzfiguren, wie sie ihn als Kind entzückt hatten: Herr und Frau Japhet und Herr und Frau Sem. Ganz wie damals dort kauften die Burschen ihren Mädchen Pfefferkuchenherzen und bunte Halstücher, und die Buben opferten ihren Marktgroschen für das Vergnügen, zwei Minuten auf dem Busen der Riesendame sitzen zu dürfen. Auch das prophetische Glasteufelchen in der Flasche fehlte nicht: »Samiel, steige hinauf, steige hinunter,« das die Photographie des künftigen Schatzes hervorzauberte. Die Baldeschen Damen ließen es sich nicht nehmen, es zu befragen. Hortense erhielt ein Kärtchen, auf dem ein Landmann abgebildet war – sie bezog das auf ihren künftigen Sohn und freute sich daran –,Lucile einen Kaufmann hinter dem Ladentisch, Françoise einen Soldaten. Man scherzte harmlos über die Drei, nahm sie zum Anlaß für ein Lachen, das jedem noch ungenützt in der Kehle saß und herauswollte.
Auf den Tanzdielen, die mit Tannengirlanden und roten Fähnchen geziert waren, ging es schon lustig zu. Stampfen und Johlen, die Karussels klingelten und lärmten, ein paar Leierkästen machten sich den Platz streitig. Und da waren auch die Tafeln mit den Moritaten. Sogar das Lied dazu war Heinrich bekannt. Es schien ihm, als sei die heisre dicke Frau mit dem Kiepenhute, die es sang, noch genau dieselbe, der er damals andächtig zugehört hatte. Der lange Stock, mit dem sie bei jeder neuen Strophe auf die Liedertafel schlug, war bestimmt der gleiche.
Das Lied hieß:
»Dieser war ein wunderbarer
Knabe von verwickelteerer
Gestalt, dabei wahahar er
schon nicht, sondern au oontr=äer.
Seine Haut war braun, die Haare
hatten Borstenähnlichkeiet,
seine Augen taten fu–uhunkeln,
Mund und Na–ase–e waren breiet.«
Man war jetzt vor eine Glücksbude geraten. Lucile und Françoise erwürfelten sich einige Bonbonpapilloten mit Versen. Auf dem einen stand:
»O du min Schatzele üs Zuckerpapier,
wenn i di sieh', so g'fallsch dü mir,«
auf dem andern:
»Un wenn din Herzele us Zucker wär',
so tät i dra' schlecke, bis nit meh' dra' wär.«
Lucile wollte sich die Verse von dem jungen Schlotterbach übersetzen lassen, als der nicht damit zustande kam, versuchte, sich Françoise, wurde aber dabei plötzlich so brennendrot, daß es aussah, als ob sie in ein Feuer hineinblicke. Hortense trat zu ihr, nahm sie unter den Arm und ging mit ihr weiter.
Victor Hugo blickte ihnen mit offenem Munde nach, er sah nicht sehr klug aus. Und auf einmal fühlte er sich sterbensunglücklich. Er hatte bemerkt, daß Françoise seinen deutschen blonden Riesen liebte. Nicht etwa der die junge Lucile, wie Victor Hugo erst geglaubt hatte. Da hinein hätte er sich gefunden, obgleich er wußte, daß Lucile ihm selber zur Frau bestimmt war. Doch dazu war ja immer noch Zeit. Françoise aber, in die er so heftig verliebt war – –
Er warf mit einer erhabenen Handbewegung den Zuckerwecken, den Hortense ihm vorhin gekauft hatte, in den Staub. Nie wieder würde er essen können!
Vor einem Schießbüdchen blieb er stehen. Er spähte nach Waffen zum Selbstmord. Auch die andern hielten dort an. Hortense und Françoise versuchten sich eifrig im Schießen. Françoise, die erst von ihrem Gewehr einen empfindlichen Backenschlag erhielt, kam ganz in Ehrgeiz, sie ruhte nicht, bis sie dreimal hintereinander getroffen hatte. Sie gewann ein »Spiegelchen« und wieder einen »Zukünftigen«, diesmal einen ältern Herrn mit einem Geldbeutel. Hummel, sorgfältig zielend, gewann jedesmal. Erst ein Pfefferkuchenherz mit der Aufschrift »Daß du süßer lüegsch!«, das er, an den verstummten Victor Hugo gab. Der stieß es leidenschaftlich weg, was zu seinem Kummer keinen Eindruck machte. Dann gewann Heinrich noch einen gelben Kamm. Den hielt er lange in der Hand.
»Sie kämmt es mit goldenem Kamme«, ging ihm durch den Sinn. Er sah ein Bild vor sich: Françoise, wie sie abends ihr Haar, löste, daß es wie ein Sonnenmantel um sie floß. Dann aber schenkte er den
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