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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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Hände.
    »Ja, was ich sagen wollte – awer Sie dürfe m'r das net etwa iewel nehme, neveu !«
    »Laß ihn nur erscht emol ins Bett komme un sich wider wärme,« verlangte die Tante, aber der Alte fuhr fort: »Nicht, daß ich selber etwa der Meinung wäre, oh non , aber Madame de la Quine hat recht, die Leute in der Stadt – Sie dürfe sich darüwer net trumpiere, wie die sich erscht exaltiere mit patriotisme , d'rno isch's letz. M'r muß halt de böse Hund a Stückle Brot hinwerfe. Ich für mein Teil« – er stellte sich in Positur für sein schönes Hochdeutsch – »ich kenne natürlich kein Schwanken, mein Neffe, wenn es sich darum handelt, die Pflichten der Gastfreundschaft« – er zog mit verzweifelterEnergie an den Taillenkordeln seines Schlafrockes – » mais vous comprenez , Sie verstehen, man hat Frau und Kind und seine Pharmacie, und das Hemd isch einem näher als d'r Rock. Und« – er atmete laut auf – »ja, ich tu's auch für d'r Herr neveu selber, m'r weiß ja nit, ob m'r eine Prussien so schütze kann, wie m'r gern möcht, wann's wirklich emal losgeht.« Die gelbe Angst sprach aus seinem Gesicht.
    Aber Madame schob sich resolut dazwischen.
    »Ah bah, ins Bett krabbelt m'r jetz und nir witer,« erklärte sie. »O jawohl, seinen eigenen neveu in die Welt stoßen, wos doch net emol im Blättle g'stande het. Monstre que tu es! Net für e sou courage hat er in sei'm lange magre Leib. Niemand geht's was an, was wir tun, wir sind gute catholiques, ça suffit .« Damit trieb sie die beiden Männer vor sich her die Treppe hinauf.
     
    Droben stand Hummel lange unbeweglich im Dunkeln. Die angstvollen Übertreibungen des Alten hatten angenehm beruhigend auf ihn gewirkt. Ein Gefühl körperlicher und seelischer Wärme war in ihm, das ihn glücklich machte. Alle Einzelheiten des Tages, den er durchlebt hatte, bauten sich vor ihm auf wie ein wunderreiches Heiligtum, vor dessen Türe alles zurückbleiben mußte, was Kleinmut war und Sorge. Und wenn es wirklich wahr würde mit dem Krieg – nun, da müßte man eben auch das miteinander zu bestehen haben, Schulter an Schulter. Eines für den Anderen. »Käm' alles Wetter auch auf uns zu schlahn, wir sind gewillt, beieinander zu stahn.« Eine weiche und große Freudigkeit kam über ihn, er wollte eine Bewegung des Umarmens machen in die tröpfelnde Nacht hinein, dabei merkte er, daß er immer noch mumienhaft verwickelt da im Dunkeln stand, warf das Wolltuch ab, zündete Licht an und begann sich auszukleiden. Françoises weißen Kaschmirschal legte er andächtig auf seine Bettdecke, daß er ihn streicheln könnte, wenn er aufwachte. Im Bett blätterte er noch ein wenig mechanisch in seinem Gottfried Keller, der auf dem Nachttischchen lag. Er traf inmittender Prosaseite auf ein Gedicht, das sich mit seinen kurzen Zeilen auffällig abhob. So las er dann:
    »In einem Gärtchen, wo du weißt,
da blüht der Seelen Paradeis,
da badt im Brunn der Heilig Geist,
die Taubenflügel silberweiß,
da riecht der himmlische Jasmin.
Die Seel spazieret süß erbaut
in Zimmetröslein her und hin.
Da küßt der Bräutigam die Braut.«
    Eine warme Röte stieg ihm ins Gesicht, süße Vorstellungen bewegten seinen Körper. Seine Hände falteten sich fromm. Der Vater im Himmel schien ihm plötzlich erdenwirklich und nahe, hatte sein Pförtlein aufgetan und schaute liebreich herunter zu ihm, dunkle Wonnen herabträufend. Ruhig und mit einem warmen Glücksbewußtsein lag er in den Kissen, die Augen nach dem geöffneten Fenster gerichtet, in dessen Rahmen sich die Sterne nochmals zu verdunkeln begannen, das Leuchten und Grollen wurde wieder deutlicher, das Gewitter war am Zurückkehren.
    Und plötzlich geschah etwas Unbegreifliches. Zum Fenster herein schaute ein Gesicht, ein Kopf mit einer Krone. Man sah das Profil, eine dicke, an der Spitze etwas eingedrückte Nase, ein dichter Schnurrbart, drei aufrechtstehende, unverständlich breite Haare senkrecht auf dem kahlen Schädel. Jetzt hörte man von unten Wispern und leises Pfeifen. Hummel sprang aus dem Bett und ans Fenster. Françoises Schal hatte er mitgerissen. Da sah er, daß es eine Figur war, auf einer Stange, mit bunter Harlekinsjacke bekleidet. Ein weißer Zettel hing dem Phantom über dem dicken Bauch, der trug die Aufschrift »Bismarc« , auf der Krone stand der Name »Espagne« . Hummel bog sich, die Figur wegdrängend, hinaus, da sah er unten einen dunklen Trupp mit allerlei vorgestreckten Armen, ein paar Betrunkene schienen

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