Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
Vom Netzwerk:
darunter, dazwischen Frauenschürzen, auch Soldaten. In diesem Augenblick versetzte ein krummer Mensch, der eine Harke trug, der Figur einen Backenstreich, man hörte Bravorufen und heiseres Gelächter.»An d'Latern, Bismarc,« riefen sie, » à la lanterne! «
    Ein gewalttätiger Zorn stieg in dem Deutschen auf, in zwei Sprüngen war er die Treppe hinunter und zum Hause hinaus, faßte den ersten, der ihm in Greifnähe kam, beim Kopf und ohrfeigte ihn, die anderen, beim Anblick des langen, wütenden Menschen im Hemd und lang nachflatternden weißen Schal, der da aus dem Dunkel sprang, stoben zu Tode erschreckt auseinander. In diesem Augenblick brach auch das Gewitter von neuem los, naher Blitz und fürchterlicher Donner, Güsse von Regen. »Der Leibhaftige!« kreischten die Frauen.
    Hummel mußte lachen. Das kam den Leuten noch viel grauenhafter vor, in heilloser Angst ließen sie die Puppe fallen und sprangen, holprig sich verrenkend, davon wie eine Horde lebendig gewordener, knorpliger und triefender Bachweiden. Im Laufen bekreuzigten sie sich und blickten um, voll abergläubischem Entsetzen, denn das streitbare Gespenst hatte die Puppe auseinandergerissen und lief nun den armen Tröpfen mit kriegerisch flatterndem Burnus, die nackte Stange wie einen Speer schwingend, durch Blitz und Donnerbrüllen nach. Den Krummen erwischte er noch, gab ihm einen guten Streich mit der Hand und ließ ihn laufen. An der Straßenecke blieb er stehen und lachte. Wie er da im Hemde hinter der Bande herlief, durchnäßt bis auf die Haut, mit der Gebärde eines Siegfried, kam er sich recht komisch vor.
    Vor der Pharmacie stand er und lauschte. Niemand regte sich, sie schliefen. Onkel Camille war sowieso ein wenig taub, die Tante sagte selbst, man könne sie nicht wecken, und die Brigitte war vielleicht schon wieder weggeschlüpft. Oben hängte er reuevoll den lieben weißen Schal zum Trocknen auf, dann erst dachte er an sich selbst. Aber es war ihm unbehaglich zumute. Gegen ihn war diese kindische Demonstration gerichtet gewesen, kein Zweifel, gegen den »Prussien«, den Bismarckspion. Wieder, wie heute beim Bauer Justin, fühlte er sich umgeben von Haß und Feindschaft, die er nicht erwidern konnte, und die deshalb beunruhigend für ihn war. Und klarer als heute nachmittag wußte er jetzt, wie nah dasalles ihn angehen würde, ihn und das Mädchen, das aus dieser Welt hier zu ihm gekommen war.
    Er lag still in seinem Bett, umdrängt von Gedanken und Empfindungen, die geklärt werden wollten, aber seine Kraft ließ nach. Bald lag dieser ganze ereignisreiche Tag in ihm versenkt wie ein gestrandetes Schiff voll Kostbarkeiten, über das stumm und eilig die Fische Hinspielen. Morgen werden dis Taucher kommen und bergen. Morgen. – –
    Die Baldes hatten die Ankunft des »Kronen«-Wagens vor ihrem Tore nicht gehört. Sie saßen noch wach und angekleidet nach ihrem späten Nachtessen im Wohnzimmer, die beiden Silberköpfe zueinander geneigt. Sie hatten beunruhigende Nachrichten mitgebracht von der Meckelen, deren beide Brüder Offiziere in Norddeutschland waren. Genaueste Marschorders seien soeben ausgegeben worden für den Ernstfall. In Ems, wo König Wilhelm zur Kur war, sei es zwischen ihm und dem französischen Abgesandten zu ernsten Meinungsverschiedenheiten gekommen. Man mußte auf alles gefaßt sein! Die Baronin, deren Niederkunft bevorstand, war vor Unruhe erkrankt.
    »Wenn Armand marschieren muß, behalten wir Hortense hier!« sagte der Maire und schob ein wenig an der Messinglampe, so daß seine Frau den Kastenschatten bekam. Er liebte es nicht, wenn sie die Augen auf ihre Näharbeit richtete, anstatt auf ihn. »Hörst du mich auch?« fragte er.
    Sie drehte die Lampe gelassen wieder zurück. »Sie kann die große Stube oben haben, ganz für sich allein. Désirée schläft mit der Bonne daneben. Sie hat es ruhiger dann.«
    »Ob es sie sehr aufregen wird? Sie muß geschont werden! Aber laß doch das Sticken jetzt, meine Freundin!«
    »Es beruhigt mich, mein Freund, ich denke dann besser. Und Hortense ist es nicht allein, um die ich Sorge trage.«
    »Um wen noch sonst?!«
    Madame Balde schwieg eine Weile. »Ich denke daran, wie bedenklich es ist, seine Tochter gerade jetzt in das Ausland zu geben,« sagte sie dann, legte aber rasch den Finger auf die Lippen. »Chut!«
    Man hörte Françoises Stimme in das Klingeln der Haustür hinein, dann auch die anderen.
    Und nun brachen die Ausflügler mit Geschrei herein. Dugirard an der Spitze.

Weitere Kostenlose Bücher