Die Verborgene Schrift
gewöhnt, daß seine Hausfrau über Politik sprach.
Dugirard, behaglich in seinem Lehnstuhl, schüttelte den Kopf, » Ah bah , täuschen wir uns doch nicht hierüber. An dem Tage, da das erste französische Regiment die Grenze überschreitet, wird nicht mehr von Spanien die Rede sein und von Prinz Leopold, man wird nur daran denken, daß man endlich die dauernde Demütigung rächen kann, die uns seit Sadowa auferlegt wurde. Und was die Gerechtigkeit unserer Sache vor Europa betrifft, die ersten Siege werden alle Welt von ihr überzeugen.«
»Und wenn wir nicht siegen?« fragte Balde.
Dugirards Gesicht verlor völlig seinen gewohnten verbindlichen Ausdruck. »Sie sind Elsässer, Monsieur Balde, ein Stammfranzose fragt nicht so.«
»Vielleicht nicht, Monsieur Dugirard, dafür befinden aber wir Elsässer uns unglücklicherweise nicht wie Sie da in Paris in der großen Galaloge, die hübsch weit von der Szene entfernt ist, sondern ganz dicht davor.«
Françoise war aufgestanden. Die Hände fest ineinandergekrampft, weiß im Gesicht, horchte sie.
»Was ist es mit den Preußen?« fragte sie jetzt tonlos. »Was wirft man ihnen denn vor?«
Blanc lachte. »Nun, die Minister haben gehofft, Preußens Benehmen würde interessant genug sein, um die öffentliche Aufmerksamkeit von der so brenzligen Budgetfrage abzulenken, die für die Kammer zur Verhandlung stand. Daß sie sich darin zu täuschen scheinen, das eben bringt sie in Wut, meine Nichte.«
»Aber dann –« Françoise machte eine hilflose Bewegung in die Luft hinein.
Auch Dugirard erhob sich jetzt, er trat zu Blanc.
»Ahmen Sie wirklich, Herr Pfarrer, das böse Beispiel unseres teuren Herrn Maire nach?« sagte er gezwungen lachend. »Sie, der Sie doch unvermischtes Franzosenblut in den Adern tragen? Das ist wahrhaftig ein schlechter Vogel, der sein eigenes Nest beschmutzt.« Welch ein Querulant, dieser Pfarrer, dachte er dabei. Man sagt recht, wenn man behauptet, die Protestanten Frankreichs seien die französischen Prussiens.
Inzwischen war auch Hortense mit ihrem Brief heruntergekommen, sie hielt dem Vater die Seiten hin, die sie zur Mitteilung für geeignet hielt. Balde las:
»Im Regiment fürchtet man, die in der Kammer angeschlagene Diskussion sei nicht genügend, ein kriegerisches Einschreiten Frankreichs zu rechtfertigen, noch dazu, da dieser Feigling von Thiers sich anmaßt, ›Vernunft predigen‹ zu wollen. Sollte es wider Erwarten dennoch zu einem Feldzug kommen, so kann er nur kurz sein. Frankreich würde dann unter dem Banner des nun endlich unfehlbaren Papstes mit Spanien zusammen marschieren, Bayern, Baden und die Pfalz, das ist gewiß, werden zu uns stoßen, ebenso wird Hannover und Hessen von Preußen sofort abfallen. Wir würden dann ganz einfach auf Staatskosten einen amüsanten kleinen Spaziergang nach Berlin machen. Madame Eugénie ist es, wie man sagt, die dieses ungefährliche Abenteuer wünscht. Und ich glaube das. Napoléon Vainqueur , das bedeutet Ablenkung drohender Revolutionen, eine vergrößerte Dynastie, ein vergrößertes Frankreich. Madame hat also recht wie immer. Denn es gibt wenige politische Ereignisse in den letzten Jahren,zwischen denen Madame nicht ihre weißen klugen Händchen hätte. Um so besser! ›Das, was die Frau will, will Gott.‹ Er tut das vermutlich um des lieben Friedens willen, denn der Frieden, wie wir wissen, ist sein métier .«
Dugirard applaudierte. »Er hat Geist, dieser Junge!«
Die Stelle, die Balde nicht vorlas, lautete: »Mut also, petite mère ! Und habe doch keine Furcht, die Berlinerinnen werden mir nicht gefährlich sein. Du weißt es ja leider, daß die großen Füße nicht mein Geschmack sind.«
Nachdem der Brief gelesen war, legte Frau Balde ihr schwarzes Taffetschürzchen ab. Auf dieses gewohnte Zeichen ging man gehorsam auseinander.
Aber kaum war jeder in seinem Zimmer, da brach das Gewitter los. Man traf sich mit wehenden Lichtern auf den Korridoren, beruhigte einander und sagte sich von neuem gute Nacht. Françoise und Hortense machten die Runde, die Fenster zu verwahren, schließlich kam auch das Salmele, naß wie ein Kätzchen, den Geruch schlechten Tabaks hinter sich zurücklassend. Die beiden jungen Schwestern hatten sich die Haare gelöst, um es leichter zu bekommen. So gingen sie durch alle Stockwerke, schweigend und schön, im Flackern der Blitze und ihrer Lichter wie zwei Gespensterweibchen anzusehen, die irgendein Schicksal im Hause umtreibt.
»Du wirst ja ganz naß,
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