Die Verborgene Schrift
Françoise,« sagte Hortense, als das junge Mädchen sich plötzlich weit aus dem Fenster bog.
»Was macht das! Die Tropfen tun gut! Wie fern alles ist, wie grau!«
Im Begriff das Fenster zu schließen, horchte sie auf, dann schüttelte sie den Kopf. Zusammen traten die beiden in Françoises Zimmer, das, Decke und Wand mit geblümter Kretonne überzogen, unschuldig und hell aussah. Mitten in dieser tapezierten Heiterkeit blieben die Schwestern stehen, umschlangen sich und küßten sich stumm.
»Er gefällt dir?« flüsterte Françoise.
»Zum Glück nicht so wie dir, meine arme Kleine!«
»Arm?« Das junge Mädchen hob ihr glühendes Gesicht.
»Wenn du wüßtest, wie ganz voll Glück ich stecke! Trotz allem,« fügte sie hinzu, da Hortense sie zweifelnd anblickte.
Françoise errötete. »Ich weiß, was du meinst, aber sieh, die Quine fängt mit jedermann ihr Spiel an, und Lucile –« Sie zuckte hochmütig die Achseln. »Glaubst du nicht, daß ich es mit ihr aufnehmen könnte, wenn ich mir ein wenig Mühe gäbe? Mit beiden!« fuhr sie, sich steigernd, fort. »Ich brauche ihnen ja nur abzugucken, wie man es macht, lustig zu sein, kindlich tun, mich elegant kleiden. Und« –, sie sah ernsthaft besorgt aus – »glaubst du nicht, daß ich recht gut lernen könnte, kokett zu sein?«
Hortense lachte ganz laut. »Kind, jetzt erst sehe ich, wie sehr du diesen robusten blonden Monsieur Heinrich liebst!«
Und mitten im Lachen stürzten ihr die Tränen übers Gesicht. »Ja, tu's, geh mit deinem blonden Deutschen in sein Land, in dem die Männer ebenso treu sind, wie die Frauen. In Frankreich werden wir armen Elsässerinnen ja doch nur verlacht. Man begreift uns nicht, wenn wir in der Ehe noch etwas anderes sehen wollen als einen gesetzlichen Kontrakt. Vielleicht wärst du mit deinem Monsieur Füeßli glücklich geworden,« fuhr sie ruhiger fort, »er ist brav und liebt dich aufrichtig, aber für ihn, das sehe ich jetzt deutlich, für ihn würdest du nie versuchen, Koketterie zu erlernen.«
Aber Françoise ging auf diese Wendung zum Scherz nicht ein. Sie hatte sich auf ihr Bett gesetzt, den Kopf gesenkt, ganz umschimmert und umwallt von ihrem Haar.
»Seit heute würde ich's nicht mehr ertragen, wenn er eine andere liebte,« begann sie leidenschaftlich. »Ich glaube, ich müßte sterben, wenn ich ihn jetzt noch verlöre. Oder nein!« Sie erhob sich kraftvoll, die Brust gewölbt, die Hände geballt. »Nicht sterben! Kämpfen würde ich. Mit allen Mitteln. Auch den schlechten!«
Hortense sah sie schweigend an. Das junge Gesicht da vor ihr, das ganz in Glauben und Begeisterung getaucht schien, verletzte sie irgendwie. Ein häßliches Gefühl stieg in ihr auf, ein Neid, der zu zerstören verlangte.
»Alles in allem habt ihr euern Augenblick schlecht gewählt,« fing sie an. »Vergißt du ganz, daß wir vielleicht am Vorabend eines Krieges stehen?«
»Ich vergesse es nicht, Hortense; im Gegenteil. Wenn dieser Krieg wirklich stattfände zwischen unseren Völkern, dann gerade würden wir ja um so fester zusammenstehen müssen, wir beiden, nicht wahr? Um diesen furchtbaren Zwiespalt in uns zu überbrücken. Und ich, ich hätte dann die Aufgabe, ihn zu trösten über die Niederlagen, die man für die Seinen voraussieht. Gerade wenn sein Vaterland unglücklich wird, muß er in mir seine Heimat finden können.«
»Und wenn er selber ins Feld zöge? Du erinnerst dich, bei den Preußen kauft man sich nicht los, wie bei uns!«
Françoise erblaßte. Sie wehrte mit beiden Händen ab. »Ich will nicht daran denken. Heute noch nicht. Nein, ich will es nicht.«
Das Leiden, das sich in ihren Zügen aussprach, rührte Hortense. Sie näherte sich der Liebenden und umarmte sie.
»Habe doch keine Furcht, meine arme Kleine, ihm wird nichts geschehen. Die Glücklichen sind unverwundbar.«
»Sind sie das? Wirklich?«
Ihr Blick, der sich auf die Schwester richtete, bohrte sich gleichsam durch sie hindurch auf irgend etwas Schreckliches und doch vielleicht Erhabenes, das sie fest ins Auge fassen müsse.
»Die Glücklichen,« wiederholte sie mit seltsamer Stimme und fuhr dann fort: »Dann also, o ja, dann muß man ihn also glücklich machen.« Sie sprach mit fast unbewegten Lippen. Gleich darauf warf sie sich, wie von Scham und Furcht überwältigt, in die Kissen und zeigte ihr Gesicht nicht mehr.
Am nächsten Morgen machte Hummel mit der guten Brigitte ein Komplott, sie solle ihm Françoises Kaschmir wieder glatt bügeln. Besorgt
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