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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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Grenze senden wollte zur Erquickung der hinüberdrängenden Truppen. Camille Bourdon hatte einige Fäßchen seines ziemlich sauern Weines hinzugegeben. Die Fäßchen trugen in großer Schrift seinen Namen. Es lag ihm daran, in breitester Öffentlichkeit seine französische Gesinnung zu offenbaren. Die Gastfreundschaft, die er dem deutschen Vetter bewiesen hatte, drückte ihn.
    Und jetzt schlug die Kirchenuhr Sechs. Die Stunde, da die Pariser Postsachen anzukommen pflegten. Das war das Zeichen zu dem üblichen Rendezvous im Poststübchen, das sich dann fortsetzte und vermehrte unter den Stadthauskolonnaden, wo Tränkele die offiziellen Depeschen anklebte.
    Heute war es im Pöstchen besonders lebhaft. Es hatte am Tage geregnet und war nun erst wieder hell geworden, ein ätherischer Dunst stieg aus dem Boden empor und kühlte die Luft. Die Damen, hübsch gekleidet für diese Stunde patriotischer Plauderei, gingen laut und schnell redend die Straße auf und ab, ihre Sonnenfächer zierlich in die Höhe haltend, mit klappernden Absätzen. Sie warteten auf Nachrichten, während drinnen Quine, Cerf, Rechtsanwalt Bluhm und der Curé die Postsachen durchwühlten, die ohne jedes Zeremoniell aus dem Sack auf Mademoiselle Célestines blauseidene Steppdecke ausgeschüttet wurden und nun da jedermann zur Verfügung lagen. Der Curé saß behaglich neben dem Bett auf dem schönen Louis-Quinze-Sessel und las den Volksboten. Er las daraus vor:
    »Wenn die Vorsehung einem Kaiser, fünfmal wiedergewählt durch die Stimme des Volkes, die Gunst gewährt, mit einem Schlage der lateinischen Rasse und ihrer heiligen Kirche zum Siege zu verhelfen, auch in den Ländern, die ihr bisher am heftigsten widerstanden, so dürfen wir nicht fürchten und nicht klagen. Jeder gläubige Katholik wird mit Freuden die leichten Unbequemlichkeiten auf sich nehmen, die ein solcher Krieg von ihm verlangt. Unsere Soldaten werden unsere Religion und unsere Zivilisation zu den deutschen Barbaren hinübertragen und so der ganzen Welt, vor allem aber Gott, einen unermeßlichen Dienst leisten.«
    Alle zollten Beifall. Avoué Bluhm, glatt rasiert, korpulent und beweglich, nahm seinen goldenen Kneifer ab und putzte ihn. »Immerhin ein Rückfall ins Mittelalter, solch ein Krieg,« sagte er, und sein Mund zuckte nervös seitwärts.
    Cerf, in Napoleonspositur aufgepflanzt, widersprach lebhaft. »Und Sie fühlen wirklich nichts von der Wollust, die darin liegt, seinem Vaterlande mit seinem Blute zu dienen?« Die schöne Célestine, die am Fenster saß und stickte, sammelte in ihrem lächelnden Blick für ihren Bruder Bewunderung ein.
    Bluhm bewegte unschlüssig die Schulter. »Ich für mein Teil, ich fühle das nicht. Vielleicht weil ich Jude bin.« Er sah verschmitzt zu dem so fromm katholischen Napoléon Cerfhinüber, den er noch als Abraham Hirsch gekannt hatte. Dann aber wurden seine unruhigen kleinen Augen glänzend, als er fortfuhr:
    »Und dennoch, meine Damen, meine Herren, dennoch sind wir Juden es, die vor allen anderen Franzosen Frankreich am leidenschaftlichsten lieben; denn wir, gehetzt und mißachtet wie wir waren, wir verdanken ihm die Verleihung der Menschenrechte.« Sein Gesicht zuckte vor Bewegung. Er nahm seinen Klemmer ab und putzte ihn.
    Die übrigen hatten einen Augenblick ernst-höfliche Gesichter gemacht, jetzt drängten sie sich zum Fenster. Ah voilà , die Bürgerwache vom Maire. Die Sache gehörte ins tägliche Vergnügungsprogramm. Es handelte sich um die Zuchthauswache, die Balde zusammengebracht hatte, da die Soldaten nun abgezogen waren und der Ersatz immer noch nicht in Sicht kam. Er hatte, ohne viel zu bedenken, die paar Leute ausgesucht, die sich aufs Schießen verstanden, und sie mit den alten Waffen aus Schlotterbachs Sammlung sowie aus den paar alten Pistolen von seinem eigenen Speicher ausgestattet, so daß die Kompanie einen recht bunten Eindruck machte. Außer dem alten Groff mit seinem sagenhaften Schießprügel aus der Zeit seiner Abenteuer waren da ein halbes Dutzend verwegene Kerle, meist Salzbohrer, der schöne Carlo unter ihnen. Das Witzige aber war, daß Balde sich nicht gescheut hatte, zu dem Wilddiebe auch Förster Rüsch und seinen Forstgehilfen zu bitten. Es war immer ein lustiger Augenblick, wenn die Todfeinde sich bei der Ablösung begegneten.
    Eine zweite und nicht weniger beliebte Nummer des Programms war das Erscheinen der Toinette Groff inmitten der Truppe. Stark und braun, in Schoßtaille und Männerhose, nickte sie

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