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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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Erregung gab den für den Krieg eingerichteten Veranstaltungen erst die rechte Würze. Das eifrige Zeitunglesen von Leuten, die sonst nur den »Econome« oder ihr Modejournal gelesen hatten, das Charpiezupfen, Kistenpacken,Briefeschreiben, das Kannegießern in den Wirtshäusern war eine herrliche Abwechslung. Man vergaß ganz den Krieg vor all den interessanten Vorbereitungen.
    Heute hatte die Quine ihre Freundinnen auf hübsch geschriebenen, bunten Blumenkärtlein zu einer großen »Charpievisite« geladen. »Monsieur Cerf wird patriotische Lieder singen,« lautete der Schlußsatz.
    Nun war man in der Maison Centrale im Blauen Salon versammelt, aß Törtchen und Eingemachtes und trank süßen Wein dazu. Monsieur Cerf sang. Die Damen waren ziemlich scharf parfümiert, die Fenster geschlossen, aber alle schienen sich wohl zu fühlen in der gepreßten Luft. Sie hatten die Arbeit sinken lassen und warteten gespannt auf das hohe B, das jetzt gleich kommen mußte. »Mourir pour la patris – mou –riiiiiir.«
    Aber ehe es noch ganz zu Ende vibriert war, riß jemand die Türe auf und schrie: »Victoire, victoire!« Victor Hugo sprang herein.
    Die Damen hüpften von den zierlichen, vergoldeten Holzstühlchen auf. Man riß ihm das Zeitungsblatt aus der Hand, alle redeten, lachten, man umarmte sich. Dann las Victor Hugo noch einmal vor: »Großer Sieg in Saarbrücken über die Deutschen!«
    »Saarbrücken, ist das eine Festung?« »Wo liegt sie?«
    Cerf, als einziger Herr, meinte Auskunft erteilen zu müssen. »Eine Festung, natürlich,« sagte er mit schöner Selbstverständlichkeit, »und sie liegt, wie ich glaube, bei Cologne.«
    Victor las vor: »Ungeachtet der Stärke der feindlichen Stellung ...« Und dann las er auch aus der Depesche vor, die, vom Kaiser an die Kaiserin gerichtet, unachtsamerweise veröffentlicht wurde: »Lulu hat die Feuertaufe erhalten. Er hat eine Kugel aufgehoben, die ganz nahe vor ihm niederfiel. Einige Soldaten weinten, ihn so ruhig zu sehen.«
    »Ah, vraiment ?!« Tante Amélie war aufgestanden. Ihr Gesicht sah beängstigend rot aus: »O, l'insolent , der Unverschämte.« Sie atmete wie eine Lokomotive. »Er wagt es, uns von seinem Sohn zu sprechen, anstatt uns zu sagen, welcheSoldaten bei der Schlacht getötet wurden! Weiß er denn nicht, daß die letzte Bäuerin, die letzte Frau aus dem Volke ihren Sohn ganz ebenso liebt wie er seine marmotte von Thronerben, dessen Namen er beständig vor unseren Ohren klingeln läßt?!« Ein betäubendes Geschwatze antwortete ihr. Alle Stimmen erhoben sich gegen sie. Wolken von Charpie staubten auf, die dicke gute Madame Bluhm jagte ihnen nach und pustete sie zusammen. Victor Hugo lachte jungenhaft aus vollem Halse.
    Schließlich beruhigte man sich. Die Bourdon setzte sich wieder, das Gesicht noch rot zum Platzen.
    Inzwischen hatte die Quine die rotseidene Klavierdecke ergriffen, dazu ein Stück Leinewand, aus dem man Binden hatte schneiden wollen. »Wir brauchen eine Fahne,« sagte sie, »blau-weiß-rot. Aber das Blau fehlt.« Plötzlich lachte sie hellauf. Sie nestelte an ihrem blauen Musselin-Kleids. Mit einer reizenden Bewegung ließ sie den Oberrock fallen, schlüpfte heraus und stand nun in ihrem kurzen, weißgestickten Unterröckchen da wie ein kleines Mädchen. »Le voilà.«
    Monsieur Cerf kniete vor ihr nieder. Die Frauen umringten sie mit Entzückungsrufen. Mademoiselle Nudele, die Wirtschaftskusine des Pfarrers, machte sich gleich heran, die Stücke zurechtzuschneiden. Bald saßen alle Damen wieder auf ihren zierlichen, goldenen Stühlen. Man schnitt und maß und heftete zusammen, die Hände zitterten vor Eifer, neue Süßigkeiten wurden angeboten, man plauderte voll Begeisterung. Selbst Tante Amélie hatte sich von ihrem Zorn erholt und tat mit.
    Man sprach von den neuen Mitrailleusen, die man ins Feld führen würde, von den Bureaux für Franctireurs, die sich überall bildeten, und wie seltsam es sein würde, wenn Leute, die sonst nie Soldaten waren, nun, Gewehr über der Schulter, im Marschschritt durch die Straßen gehen würden.
    Zuletzt war die Fahne fertig. Man schickte ins Zuchthaus hinein, damit Sträflinge sie auf eine Stange nageln sollten. Quine selber brachte sie mit Victor Hugo zusammen zurück. Er schwenkte sie wie ein Gladiator. Dann hing man sie zum Fenster hinaus. Blanche, jetzt in einem reizenden rosaDeshabillé, klatschte in die Hände vor Freude. »Ich bin die erste in der Stadt, die den Sieg feiert.«
    Sehr befriedigt von

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