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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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der Veranstaltung, gingen alle auseinander.
    Abends war dann die ganze Stadt beflaggt. Es standen Lichte in den Fenstern, Pompiers waren da und Musik, und Tränkele trommelte. Die Kinder zogen mit Stocklaternen hinterher. Man sang das alte Revolutionslied: »Steckt Lampen an, steckt Lampen an!« Immer wieder griff man zu diesen Liedern zurück, wenn man begeistert war. Und zuletzt war da auch wieder eine Strohpuppe, die Bismarck darstellte, und der man eine mächtige Spicknadel an die Stelle gebohrt hatte, wo das Herz sitzen, sollte.
    Und über allem leuchtete in gewohntem stillen Schein Père Anselmes Fenster auf den Platz herab.
    Dort oben stand jetzt der Alte mit seinem Patenkinde. Sie hatten beide dem Fenster den Rücken gedreht. Er am Schreibtisch, sie auf der alten Fenstertruhe neben ihm. Dumpf tönte das Trommeln herauf zu ihnen. Stimmgewirre und Schrittgetrappel.
    Sartorius lächelte. »Das machen sie immer so. Ich weiß noch, damals im Jahre 1642 – – – «
    Aber Françoise unterbrach ihn. »Ist es ein sehr großer, ein entscheidender Sieg, Père Anselme?«
    Der Alte lächelte. »Das muß man sagen, Stilisten sind wir, wir Franzosen. Nicht übel gefaßt die Sache. ›Man hat über die Preußen in Saarbrücken gesiegt.‹ In der richtigen Übersetzung würde das heißen: Ein paar preußische Vorposten in Saarbrücken haben vor unseren zwei Divisionen, die hinübergingen, die Stadt räumen müssen. Aber unsere Zeitungen – – – pas mal !
    »Also nicht entscheidend, Père Anselme?« Sie hatte einen raschen Sieg gehofft, der schnell das Ende bringen würde. Wie hätte sie dann ihren Heinrich trösten wollen!
    Sie nahm dem Alten die Feder aus der Hand. »Erzähl' von Deutschland, Père Anselme!«
    Es war das eine Gewohnheit der letzten Tage geworden zwischen ihnen, eine Art verstohlener Erbauung. Abends, wennunten auf dem Platz die Leute zusammenströmten und sich gegenseitig gruseln machten mit Erzählungen von den bösen Prussiens, saßen sie gern hier oben und sprachen von dem frommen, treuen Deutschland, wie es in Père Anselmes Kopfe lebte.
    Das Kinn auf die Hände gestützt, die Arme auf den Knien, saß das junge Mädchen da im Halbdunkel der Nische auf der großen wurmstichigen Truhe, die des Ratschreibers Tagesvorräte an Brot, Käse und Wein verwahrte. Ihr weiches, umschattetes Gesicht erschien dunkel unter dem blonden Haar.
    »Erzähl' von Deutschland!« sagte Françoise wieder.
    Da fing er an, was sie schon wußte, was sie aber nicht müde machte, immer wieder zu hören: vom Neckar und von Burg Lichtenstein, von den Studenten in Tübingen mit ihren großen Hunden, bunten Mützen, großen Bierseideln, langen Haaren und langen Liedern. Aber wie sangen sie die! Und wenn das Wort Deutschland fiel, dann hatten sie gezittert vor Begeisterung, waren einander in die Arme gefallen und hatten sich geküßt.
    Und von den Professorenfrauen erzählte er, die große Schürzen trugen und über ihren glatten Scheiteln weiße Rüschenhauben. Den ganzen Tag stehen sie in der Küche oder auch wohl am Waschfaß. Abends aber setzen sie sich ans Klavier und singen Glucksche Arien oder spielen eine Beethovensche Sonate. Sie zogen ihre wollenen Strickstrümpfe aus den Beuteln, die Nadeln klapperten, während sie mit klugen, verklärten Augen dem Gatten zuhörten, der auf dem breiten, schwarzen Roßhaarsofa saß und vorlas. Ein wenig Küchengeruch hing ihnen vielleicht noch in den Kleidern, aber was sie sagten, war fein und edel, und die Männer hörten auf sie.
    Er erzählte von jungen Leuten, die in der Dachkammer beisammensaßen, um bei ihrem Glase Zuckerwasser über Gott, Freiheit, Freundschaft zu philosophieren. »Un was man d'rno Dichtung g'heiße het un unsterblich, siescht, Maidele, das isch dort owe gebore worde beim Zuckerwasser im Dachstüble.«
    Er faltete die Hände. Françoise dachte still nach.
    Und unversehens flocht der Alte in sein Eigenerlebtes alte Geschichten ein: Mittelalter, Neuzeit und altes Germanentum,alles durcheinander. Er sprach von der Zeit, in der die Menschen zart träumten und derb handelten, die Worte Sitte, Frömmigkeit, Ehrbarkeit und Ehrfurcht noch Klang hatten. »Das Land könne mir Elsässer net vergesse, mir tragen's noch in uns, que veux-tu , wir lieben es.«
    Der Alte hatte sich in seinen Sessel zurückgelegt. Er rieb sich die Hände. »Wie du dasitzest, Kind, könnt' man dich leibhaftig für die schöne Welserin halten, die ja so manches liebe Mal ihren Herrn und Eheliebsten

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