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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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Menge auf. Noch stumm, nur sichtbar in den zuckenden, wie kochenden Bewegungen. Und der kleine Franzose berichtet weiter: »Zwei Tage sind sie marschiert, die Soldaten, und haben nichts zu essen gehabt. A jeun , mit leerem Mage, sin se in d' bataille g'schickt worde.«
    Nun bricht das Toben los. » A jeun ? Sind' un Schand' isch es. In d' bataille ine un nix zum Fresse, ah oui , in d'r vordere Reih marschiere, wann's an d'r Fiend geht, d'rfür sin m'r racht, mir Elsässer, do därfe mir d' erschte si, awer wann's ans Fresse geht, do kumme d' Welsche voran.«
    »Un an Munition het's g'fehlt,« sagt das Französlein.
    »Nix zum Schieße un nix zum Fresse, oh ces traîtres !«
    »Und hat 's net g'heiße, mir sin parat? Archiprêts ? Wo hat 's jetzt die célèbres mitrailleuses? «Einer der Arbeiter lacht. »Die? Ha, die sin alle mitanander bi d'r gamin imperial , bi d'r prince royal .«
    »Ah, ces animeaux , Viehchor isch' s. Um uns im Elsaß do derangiere sie sich net. Zitter zwei Woche promeniere espions prussiens in de Vogese umme, personne ne s'en fiche à Paris .«
    Schmied-Louis streckt die starken Arme in die Höhe. »Flinte müsse m'r han, fusils .«
    »Fusils, fusils,« brüllt's ihm nach. Dann, mit einem Male, wie Kinder, die, ermüdet, nicht mehr spielen wollen, gehen sie stumm und grußlos auseinander.
    Der Platz ist leer. Schlaff hängen die naß gewordenen Fahnen, die man nicht abzunehmen wagt, unter dem grauen, düstern Himmel.
    Die drei Herren waren inzwischen ins Rathaus getreten. Der Curé, Quine und Balde standen an Père Anselmes Fenster und schauten hinab. Quine hatte seinen guten Abgang nicht durch ein längeres Sichtbarsein verderben mögen. Der Curé war sehr aufgebracht. »Wir dürfen's nicht dulden, daß hier so gebrüllt wird.«
    »Man sieht, wie recht sie in Paris haben,« sagte Quine hochmütig. »Unmöglich, solchen Leuten hier Waffen zu geben.«
    Balde lächelte. »Man dürfte schon. Aber ich fürchte, man kann nicht, weil man keine hat.«
    Der Curé sandte ihm einen schrägen Blick hinüber.
    »Sie wollen also die rote Fahne der Revolution aufpflanzen?« fragte Quine.
    Martin Balde fuhr sich mit der Hand über sein starkes Haar. »Ich habe dem Kaiser Treue geschworen,« sagte er dann ruhiger, »aber er hat mich zugleich auf diesen Posten gestellt. Solange ich ihn habe, werde ich meine Pflicht gegen meine Gemeinde erfüllen. Nun aber,« er sah nach der Uhr, »Ihre Herren Verbrecher warten auf mich, Monsieur de la Quine.« Er bewegte seinen Hut, den er in der Hand hielt, grüßend und ging.
    »Dieser Herr macht mich krank,« sagte der Zuchthauschef müde.
    Der Curé nickte. »Und mich beleidigt er. Hören Sie, wie er mir ins Handwerk pfuscht?« Er hob den Finger nach derSeite hin, wo jetzt ein Glöckchen zu läuten begann. »Monsieur Balde läßt seinen Eintritt ins Zuchthaus ankündigen, wie man nur das Allerheiligste ankündigt. Ich weiß, es ist, damit die Kranken sich versammeln – aber dennoch ...« Sein Gesicht, im Grunde heiter, bekam einen verbissenen Ausdruck.
    Quine lächelte. »Ein Dämpfer könnte ihm nichts schaden, diesem selbstbewußten Herrn.«
     
    Es war jetzt wieder sehr ruhig geworden in Thurwiller, so ruhig wie in Friedenszeiten. Aber diese Ruhe war nicht leer wie sonst, sie war mit Gespenstern gefüllt. Überall witterte man Preußen. »Die Pickelhauben haben den Rhein überschritten,« hieß es. »Sie sind uns schon ganz nahe.«
    Und allmählich erhielt die Angst eine Kraft, die an Irrsinn grenzte. Der Präfekt des Oberrheins selbst war es, der diese Panik entfesselte. Er hatte an seine Bürgermeister ein Telegramm geschickt, man solle die Preußen mit Freundlichkeit aufnehmen, sie nicht unnütz reizen, für die Ablieferung aller Waffen sorgen, die etwa in den Gemeinden vorhanden seien. Vor allem aber wäre es geraten, die Knaben in Sicherheit zu bringen, da sonst die Preußen sie verschleppen und als Kanonenfutter vor ihre Front mitführen würden.
    Balde legte diese Depesche still beiseite. »Wozu die Leute vorzeitig beunruhigen? Genug, daß man wacht!« Er legte ebenso die zweite Depesche fort, die der ersten folgte und sie widerrief. Die Ankunft der Preußen hier sei ein leeres Gerücht gewesen, hieß es darin.
    Abends stieg Martin Balde auf den Kirchturm und hielt Ausschau. Françoise begleitete ihn. Beim Scheine eines Laternchens stiegen sie die enge, morsche, vielgewundene Treppe empor, von der der Staub aufflog. Draußen wusch und klopfte der Regen, im Sturm

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