Die Verborgene Schrift
Verwandte präsentieren, deren Eltern eine Werbung von ihm gern sehen würden.
Er kam, feierte, aß, trank, drei Tage lang. Bei Tisch disputierte man darüber, ob es für das französische Heer besser sei, über Straßburg in Baden, Württemberg und Bayern einzufallen oder von Metz aus durch das Nahetal und über Saarlouis durchzudringen. Man hörte von dem großen Siege von Saarbrücken. Nun feierte man erst recht. Man blieb beisammen, erregte sich patriotisch, und die künftige mariage war so gut wie beschlossen. Jules telegraphierte seinen Eltern. Weitere Nachrichten vom Kriege erhielt man nicht. Dafür zogen Truppen durch, braune Kerle in bunten Kostümen, verwahrlost und hungrig. Man schob alles auf die Eile des Aufmarsches. Vor den Toren der Stadt entwickelte sich ein großes Lager: Turkos, Zuaven. Es war wie eine Schaustellung. Es gab große Einladungen hinüber und herüber. Auch der Apotheker veranstaltete ein kleines Turko-Frühstück. Die Eingeladenen, um die Höflichkeit sofort zu erwidern, luden den Gastgeber und seine Familie zur Besichtigung des Lagers hinaus. Durch irgendeinen Zufall wurden Monsieur und Madame noch im letzten Augenblick verhindert, und Jules ging allein. Kaum hatte er mit seinen braunen Begleitern die Stadt hinter sich, da wurden die Tore geschlossen. Jules war ausgesperrt. Zugleich hörte er ein unbekanntes Zischen und Brummen in der Luft. Er sah Leute, die sich seltsam duckten, einige, die gar nicht wieder in die Höhe kommen wollten. Ächzende, Blutende, Tote. Die Turkos liefen heulend nach ihren Plätzen. Jules stand allein mitten im preußischen Kugelregen.In seinen Zivilkleidern von den Vorrennenden hin und her gestoßen, befand er sich einen Augenblick mitten unter den Kämpfern. Er sprang in einen leidlich trockenen Graben und verbarg sich darin, aber die Kugeln, die niederzuregnen begannen, verscheuchten ihn. Kriechend und sich hinter jedem Busch verbergend, den Kugeln von Freund und Feind ausgesetzt, brauchte er so vier Stunden, um die nahe ferme Schafbusch zu erreichen. »Und stellen Sie sich vor, meine Damen,« sagte er, jetzt wieder ganz der vergnügte Plauderer von früher, » imaginez-vous, mon petit ventre rond, admirablement rempli de dindon aux truffes et de toutes les autres friandises . Oh, ich versichere Sie,« fuhr er, immer Französisch sprechend, fort, »das Vergnügen, diese Leckerbissen zu verzehren, war größer als dasjenige, sie jetzt durch schmutzige Gräben spazieren zu führen.«
»Habt Ihr die Schlacht gesehen?« fragte Françoise atemlos.
»Mehr als genug. Und unsere Leute haben sich bewunderungswürdig geschlagen. Manchmal freilich bekam ich Besuch da in meinem Graben, ein Tornister, ein Gewehr flog mir auf den Rücken, ein Tschako – man lief davon, man machte es sich bequem.«
»War es nicht schrecklich, alle diese Verwundeten zu sehen? Diese Sterbenden?«
»Ein Ballett in der Großen Oper sieht sich lieblicher an, obgleich man da ja auch viele verrenkte Gliedmaßen zu sehen bekommt. Eins aber« – er wurde ernst und totenblaß in der Erinnerung – »eins werde ich nie vergessen, es ist schlimmer als alles, was ich sah und hörte. Das ist dieses grauenhafte Hurra, mit dem die Prussiens vorwärts stürmen. Es scheint nicht aus menschlichen Kehlen zu kommen. Die Knie werden einem weich davon. Man ist gezwungen sich niederzuwerfen, wie vor dem Heulen einer aufgescheuchten Bestie, die näher kommt.«
Die Frauen schwiegen. Auf einmal war der Krieg da in ihr Stübchen hereingekommen, fürchterlich unter der leichten Frivolität der Worte, die ihn verhüllen sollten.
»Et toi, et toi?« sagte endlich die Bourdon.
Da erzahlte er weiter von seinem Ausruhen in der ferme ,die von allen Seiten umtobt war. Die Leiche des Generals Douay hatte man gleichfalls dorthin gerettet. Jules hatte ihn liegen sehen, den Säbel in der Hand, einen Zug von Verzweiflung in dem toten Gesicht. Dann kamen die Preußen. Todmüde, wie er war, ließ Jules sich von ihnen mitnehmen.
Madame Bourdon küßte ihn. »Un d'rno, un d'rno?«
Jules war wieder nach Weißenburg hineingebracht worden. Die Stadt hatte von Uniformen gewimmelt. Bayern, Pommern, Sachsen, Elsässer und Franzosen, jeder redete in seiner Sprache. Dazu die Turkos. In der Hauptkirche war ein Höllenlärm. Einhundertneunzig gefangene Franzosen waren da untergebracht. Sie schimpften über Napoleon, über Mac Mahon und nannten die Summe, für die man sie an Preußen verkauft hätte. Dabei kam es für Jules
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