Die Verborgene Schrift
»tollen Hummel«, das da gleichfalls hing. Sie meinte, Heinrich müßte ihm gleichen, jetzt, da er in Uniform war. Dann aber fiel es ihr schwer aufs Herz: ihr Heinrich trug ja weder Dreispitz noch Käppi. Die preußische Uniform kannte sie nicht. Es machte sie ganz traurig, daß sie sich keine Vorstellung von seinem jetzigen Aussehen machen konnte.
Madame Bourdon machte sich inzwischen mit Marmeladen und Kuchen am Tisch zu tun. Der Besuch des jungen Mädchens tat ihrem zärtlichen Herzen wohl und weckte die eingeschlafenen Hoffnungen. Sie hätte das schöne Kind noch immer sehr gern zu ihrer Schwiegertochter gehabt an Stelle der Fremden, der Französin. Und aus dem beneideten Konkurrenten Martin Walde würde dann auch ein Mann werden, der ihnen selber in die Tasche arbeitete.
Schnaufend vor Aufregung ging sie im Stübchen auf und ab', »'s isch arg scheen von d'r Demoiselle, daß sie amol d'r Weg g'funde het zu mir.« Ihre Arme bogen sich mütterlich, als hielte sie ein ganzes Nest kleiner Lebewesen darin gefangen. Plötzlich schrie sie auf. Ein Schritt klang auf dem Steinflur. Die Tür ging auf. Triefend und sich schüttelnd trat ein fremder Mensch auf die Schwelle. Er hatte einen zu weiten Rock an, dazu eine kleine gestrickte Mütze, sein Gesicht war unrasiert. Madame Bourdon starrte einen Augenblick, dann fiel sie dem, Vagabunden um den Hals: »Jules, mon pauvre Jules!«
Jules lachte: »Bon jour, maman, bon jour, mademoiselle.« Et hatte seine Mütze vom Kopf gerissen, die jetzt einem nassen Schwamm glich, und schwenkte sie, daß die Tropfen flogen, während er die unaufhörlichen Küsse seiner Mutter mit ebensolchen erwiderte. Und dann als erstes fragte ihn Frau Bourdon, was alle Mütter ihre Söhne fragen, wenn sie nach so langer Abwesenheit wiederkommen: »Hasch Hunger, willsch ebbes z' asse?«
Jules Bourdon nickte eifrig. »Du hasch's g'rote, Mamme, je me meurs de faim .« Er hatte ein liebenswürdiges, sorgloses Jungenlachen dabei. Dann fragte er nach Papa, sagte Françoise schnell eine Artigkeit über ihre »bonne mine« und fülltedas ganze Zimmer mit heiterem Geräusch. Madame Bourdon ließ die verliebten Augen nicht von ihm.
»Un wo kummsch her?« Sie kramte schon im Vorratsschranke und zauberte ein halbes kaltes Huhn, Brot und Wein auf den Tisch, rief der alten Brigitte in den Garten hinunter, sie solle g'schwind Salat rupfe, und war schon wieder bei ihm, brachte ihm Vater Camilles Schlafrock und stellte ihm dessen Pantoffeln hin. Françoise half inzwischen Teller und Besteck auflegen und den Tisch ordnen.
Jules machte es sich behaglich. »Wo ich herkomme? O, c'est, une affaire, mais, une affaire! «
In diesem Augenblick hörte man ein sonderbares Geräusch. Ein zweiter Donner, schwächer und doch fürchterlicher als der erste.
»Jo, was isch jetz däs?«
Jules horchte auf. » Diantre , das kenn' i guet g'nug. Das sin canons prussiens .«
»Awer wo denn, pour l'amour de Dieu , wo sin se denn?«
» Que sais-je? In Brisach, in Neuenbourg, un peu partout . Awer hab' nur kei Angscht, maman, n'aie pas peur, do sin se noch net, ces maudits Prussiens. Et d'ailleurs « – er schlürfte mit Behagen seinen Wein – » il sont des gens charmants, i kenn' sie güet, méme trés bien « – er lächelte verschmitzt. »Noch geschtere bin i prisonnier g'si bi de Prussiens .«
»Prisonnier!« Sie schrie gellend auf, stürzte sich ihm um den Hals, daß er fast sein Glas verschüttete. »Han se dir ebbes macht, ces animaux? « Sie befühlte mit ihren zitternden Händen sein Gesicht, seine Schultern.
»Wie sin Ihr loskumme?« fragte Françoise interessiert.
»Une farce de Coquelin!« Jules machte eine lustige Grimasse, stieß einen komischen Zischton zwischen den Zähnen hervor und machte mit den Händen die Bewegung des Fortlaufens.
Die Mutter schlug die Hände vors Gesicht. »Déserteur! Mon Dieu, mon Dieu! Un sin se dir nochg'loffe?« Sie umschlang ihn von neuem, ihn mit ihrer breiten Sorgfalt schützend.
Jules wehrte sie ab. »I bin net déserteur, oh non « – er war blaß geworden. »I han jo noch net amol min service g'macht. I bin net Soldat g'si. Mais pensez, mes dames« – und er begann zu erzählen, immer von seinen eigenen Lachsalven unterbrochen.
Die Geschichte des guten Jules war in der Tat ziemlich amüsant:
Trotz des Kriegszustandes war er nach Wissembourg gefahren, um dort bei dem ihm befreundeten Apotheker eine Hochzeit mitzufeiern. Man wollte ihm bei dieser Gelegenheit eine junge
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