Die verborgene Seite des Mondes
Julia. Schön, dich zu sehen.«
Erst jetzt bemerkte Julia Tracys kleines Bäuchlein, das vermutlich nicht auf ihren gesunden Appetit zurückzuführen war.
Höflich erwiderte sie die Begrüßung.
»Und das ist Ainneen, meine Freundin«, sagte Jason.
»Hi, Julia.« Die Blonde lächelte und zeigte eine Reihe schadhafter Zähne, die Hälse von Karies zerfressen. »Freut mich, dich kennenzu lernen.«
Jason strubbelte dem Jungen über den Kopf. »Das ist Dylan und die kleine Prinzessin hier heißt Carli.«
Prinzessin? Das Gesicht des Mädchens war völlig verschmiert, die langen Haare verfilzt. Von ihren Milchzähnen ragten nur noch bräunliche Stummel aus dem Gaumen. Wahrscheinlich wurden die beiden Kinder mit Cola und Crackern ernährt und auch auf Reinlich keit schien Ainneen bei ihnen wenig Wert zu legen. Dabei sah Ja sons Freundin selbst so aus, als wäre sie direkt einem Modemagazin entsprungen.
Die beiden jungen Frauen setzten ihr Gespräch fort. Julia nickte hinüber zum Küchenzelt, in dem unverkennbar Dominics Lachen aus dem Stimmengewirr herausschallte.
»Ich bekomme langsam Hunger.«
»Ich auch«, meinte Jason. »Los, Dylan«, sagte er zu dem Jungen, »holen wir uns was zu essen.« Der Kleine ließ sich das nicht zweimal
sagen und folgte ihnen.
»Sind das deine Kinder?«, fragte Julia.
Jason lachte. »Nein. Sieht man das nicht?«
Sie hob die Schultern. »Hätte ja sein können. Was ist denn passiert mit dem Kleinen?«
Sie stellten sich in der Schlange vor dem Küchenzelt an. Jason er zählte ihr, dass Dylan beim Klettern von der Couch gefallen war und sein verbliebener Schneidezahn die Unterlippe durchstoßen hatte. Es sah nicht so aus, als ob der Junge bei einem Arzt gewesen wäre und Julia verspürte den Drang, die Wunde zu säubern und wenigs tens mit einem Pflaster abzudecken.
»Sieht übel aus«, sagte sie stirnrunzelnd.
»Ach was, das heilt schon wieder. Dylan ist hart im Nehmen.«
Julia war an der Reihe und nahm von Dominic einen in Fett geba ckenen Teigfladen entgegen, über den sie Ahornsirup goss. Sie hol te sich einen der riesigen Äpfel aus der Schüssel, die aussahen, als wären sie auf Hochglanz poliert worden.
Dann entdeckte sie Simon. Er hatte den Ausschank der Getränke übernommen. Sie lächelte ihm zu, als sie ihn um einen Becher Tee bat. Aber sein Blick, der an Ians Sweatshirt hängen blieb, das sie im mer noch trug, blieb verschlossen.
»Sehen wir uns später?«, fragte sie.
Simon reichte ihr den Becher. »K-eine Ahnung, wann ich hier weg kann.«
Aus irgendeinem Grund schien er gekränkt zu sein. Was war nur los mit ihm? Was hatte sie falsch gemacht?
Julia schaute sich nach Jason um, aber der war mit den Kindern wieder zu Ainneen und seiner Schwester zurückgegangen. Julia setzte sich abseits des Küchenzeltes auf eine große Kühlbox und aß ihr Fladenbrot. Auf einmal fühlte sie sich allein zwischen all den Menschen. Mal spürte sie neugierige, mal verstohlene Blicke auf sich ruhen, aber niemand setzte sich zu ihr. Und wo ihre Mutter abgeblieben war, wusste sie nicht.
Julia dachte daran, wie anders die Dinge laufen würden, wenn ihr Vater hier wäre. Mit Stolz hätte er sie den anderen Familienmitglie dern vorgestellt. Bestimmt waren einige der Leute hier Verwandte von ihr und sie wusste es nicht einmal. Er hätte ihnen erzählt, dass seine Tochter gerne Geschichten schrieb, von denen bereits zwei am Schultheater aufgeführt worden waren. Dass sie eine gute Schwimmerin war und eine experimentierfreudige Köchin.
Aber ihr Vater war tot und konnte nichts mehr für sie tun. Ihre Mutter hatte genug mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen. Von nun an musste Julia die Steine, die auf ihrem Weg lagen, alleine wegräumen.
Wie verloren und traurig sie aussieht, dachte Simon, als er Julia auf der Kühlbox sitzen sah. Er kannte das Gefühl nur zu gut. Unter frem den Menschen fühlte er sich noch einsamer, als wenn er wirklich al leine war.
Es sah ganz danach aus, als ob es ihr ebenso ging.
Simon war glücklich gewesen, als er während der Sonnenauf gangszeremonie Julias Hand hatte halten dürfen. Dabei hatte er das Gefühl gehabt, ganz leicht unter Schwachstrom zu stehen, und das war keineswegs unangenehm gewesen. Aber dann hatte sich Mr Dreadlock zwischen sie gedrängt und Julia auch noch sein Sweatshirt geliehen. Sie schien ihn zu mögen. Natürlich. Er sah gut aus, war witzig und konnte sich in vollkommenen Sätzen mit ihr unterhalten. Was mochte Mr Dreadlock in der
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