Die verborgene Seite des Mondes
kurzen Zeit alles über Julia erfahren haben? Ein Gefühl schmerzlichen Bedauerns überkam ihn.
Simon , sagte er zu sich selbst, du verhältst dich lächerlich . Aber er konnte nichts dagegen tun. Die Gedanken und Gefühle waren da. Das Schlimmste daran war, dass er sie nicht in Worte fassen konnte.
Er sah auf. Julia hockte immer noch einsam auf der Kühlbox und kaute an ihrem Apfel herum.
Kurz entschlossen übergab Simon seinen Job im Küchenzelt an ein dickes, freundliches Mädchen und ging hinüber zu Julia. Er setzte sich neben sie ins Gras, die Beine im Schneidersitz.
»W-ar das Brot gut?«
»Ja, es war köstlich. Hast du denn heute überhaupt schon etwas gegessen? Ich sehe dich immer nur arbeiten.«
»Ja, hab ich.« Das war eine Lüge, aber diesmal stolperte er aus nahmsweise nicht darüber. Simon hoffte, sein Magen würde nicht plötzlich anfangen zu knurren und ihn verraten. Er war es nicht ge wohnt, dass jemand an ihn und seine Bedürfnisse dachte.
»Hast du dich m-it deinem Bruder angefreundet?«
»Ich komme klar mit Jason. Er ist viel netter, als ich dachte.«
Simon unterdrückte den Drang, Julia die Wahrheit über ihren Halbbruder zu erzählen. Über seine Drogengeschichten und seine Vorstrafen. Warum sollte sie ihn nicht in guter Erinnerung haben, wenn sie wieder abreiste? Im Augenblick war Jason Temoke außer dem das kleinere seiner Probleme.
Er fand einen flachen grünen Stein neben seinem Schuh, hob ihn auf und ließ ihn von einer Hand in die andere gleiten. Dabei über legte er krampfhaft, wie er das Gespräch ganz unverfänglich auf Mr Dreadlock bringen konnte, ohne seine Eifersucht zu offenbaren. Gerade wollte er zu einer Frage ansetzen, da kam Julia ihm zuvor.
»Sag mal, ist Tracy etwa schwanger?«
»Ich g-g-glaub, Ja.« Der grüne Stein glitt in seine Linke.
»Hat sie jemanden? Ich meine, gibt es einen Vater zu dem Kind?«
»Ich g-laub, Nein.«
»Und Ainneen?«
»Ainneen?« Simon hielt die Hände still und verdrehte die Augen. »Was soll sein mit Ainneen?«
»Wer ist der Vater ihrer Kinder?«
»K-K-Keine Ahnung. Irgendeiner von den Jungs, die in der Mine ar beiten.«
»Ist Jason schon lange mit ihr zusammen?«
»Immer mal wieder.« Simon stöhnte innerlich. War das wirklich er, der dieses Gespräch führte? Eldora-Valley-Klatsch von der übelsten Sorte.
»Wer ist eigentlich dieser Govinda?«
Simon unterdrückte ein Seufzen. »Ein c-c-cooler Typ aus Kalifor nien. Sein Truck fährt mit altem Frittieröl von McDonald’s.«
Julia lachte. »Du nimmst mich auf den Arm, oder?«
»Tu ich nicht. F-rag ihn doch selbst. Er hat eine geniale Filteranla ge auf der Ladefläche.«
»Er sieht wie ein komischer Vogel aus.«
»Govinda ist in Ordnung.«
»Kennst du seinen Sohn?«
»Seinen Sohn?«
Julia lachte. »Du hast vorhin seine Hand gehalten.«
»Nein«, brummte Simon. »Ich wusste n-icht, dass er einen Sohn hat.«
»Er heißt Ian und ist mächtig nett.«
Mächtig nett! Was musste man tun, um diesen Orden von einem Mädchen wie Julia zu bekommen? Würde er sich jetzt anhören müs sen, wie toll Mr Dreadlock war?
Musste er nicht.
»Wann bist du eigentlich nach Hause gekommen gestern?«, fragte sie ihn stattdessen. »Ich habe den Truck gar nicht gehört.«
»Es war spät.«
»Das glaube ich dir aufs Wort. Du siehst müde aus.«
Ihr Blick ruhte auf seinem Gesicht und er senkte den Kopf. »Werd m-ich nachher ein bisschen aufs Ohr hauen.« Verlegen betrachtete er den Stein in seiner Hand.
»Zeig mal her!«, sagte Julia. »Der ist ja richtig grün.«
Simon gab ihr den Stein und sie strich mit den Fingern nachdenk lich über die glatte Oberfläche.
»G-G-Grüne Steine sind der Atem von Pflanzen, die in der Nacht singen«, sagte er.
Julia gab ihm den Stein zurück, mit einem befremdeten Ausdruck im Gesicht.
Warum hatte er nicht den Mund halten können? Das fiel ihm doch sonst nicht schwer? Wahrscheinlich war sie nun endgültig davon überzeugt, dass er ein Spinner war.
Simon rappelte sich auf. »Ich muss jetzt ins K-K-Küchenzelt zu rück«, stammelte er. »Wir sehen uns später.«
11.
E s war früher Nachmittag, als Caleb Lalo, der Medizinmann, alle ins Versammlungszelt rief. Julia saß neben ihrer Mutter im Schatten ei ner Pinie. Sie hatten eine Kleinigkeit gegessen und geredet. Über die Zeremonie und darüber, worum es bei diesem Treffen ging.
Julia war ihrer Mutter dankbar, dass sie hier sein konnte, und hat te ihr das auch gesagt.
Als Lalos Trommel erklang, stand
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