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Die verborgene Seite des Mondes

Die verborgene Seite des Mondes

Titel: Die verborgene Seite des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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Hanna auf. »Du musst nicht mit kommen«, sagte sie. »Es wird jede Menge Reden geben über Dinge, die du sowieso nicht ändern kannst.«
    Julia schüttelte vehement den Kopf. »Ich will das aber hören. Es interessiert mich.« Sie stockte. »Ich will versuchen, Pa zu verste hen.«
    Hanna musterte sie eine Weile, dann reichte sie ihrer Tochter die Hand, um ihr aufzuhelfen. »Na, dann komm, damit wir noch einen Platz zum Sitzen finden.«
    Gemeinsam gingen sie zum Zelt. Ada und Caleb Lalo saßen auf Klappstühlen in der Mitte, der Alte hatte ein Mikrofon in der Hand.
    Als jeder irgendwo einen Platz gefunden hatte, auf Stühlen, De cken oder einfach auf dem Boden, begrüßte der Medizinmann die Anwesenden und begann, über den Vertrag von Ruby Valley zu sprechen. Darüber, dass er heute noch uneingeschränkt gültig war, auch wenn die US-Regierung 1989 per Gesetz entschieden hatte, dass die Western Shoshone das Recht auf ihr Land verloren hätten, weil sie es seit mehr als hundert Jahren nicht mehr wirkungsvoll nutzen würden.
    Julia wusste, dass die Regierung den Indianern eine Entschädigungssumme von mehreren Millionen Dollar gezahlt hatte, aber die meisten Shoshoni weigerten sich, das neue Gesetz anzuerkennen. Das Geld lag bis heute unangetastet auf einer Bank.
    »Vom Snake River im Süden Idahos über den halben Staat Nevada bis ins Death Valley, wo ich wohne, und bis in die Mojave-Wüste in Kalifornien nennt sich alles Newe Sogobia , Shoshone-Land«, sagte der Medizinmann und viele klatschten Beifall.
    Julia sah sich in der Menge um. Sie schätzte, dass über achtzig Menschen im Versammlungszelt saßen. Sie blickte in die Gesichter, dunkle wie hellhäutige, und dachte an die unvorstellbare Grausam keit, mit der die Weißen die Shoshoni gezwungen hatten, den Ver trag von Ruby Valley zu unterzeichnen.
    Diese Geschichte hatte ihr Vater ihr nur ein einziges Mal erzählt. Es waren karge Zeiten für die Indianer gewesen und man hatte sie damals mit einem üppigen Festmahl in die abgelegenen Berge ge lockt. Als die Shoshoni und ihre Anführer am ausgemachten Ort in den Ruby Mountains versammelt waren, töteten die Soldaten einen gefangenen Indianer, zerteilten ihn und steckten ihn in einen gro ßen Eisentopf, um ihn zu kochen. Danach zwangen sie Männer, Frauen und Kinder mit vorgehaltenen Gewehren, vom Fleisch des Mannes zu essen. Im Anschluss an das grauenvolle Mahl wurde der Vertrag unterzeichnet.
    »Wir dürfen nicht zulassen«, drang Lalos Stimme an Julias Ohr, »dass unser Land, dass unsere Erde gequält und vergiftet werden.« Er sprach von dem Unrecht, das ihnen bisher widerfahren war und von ihrem Kampf gegen diejenigen, die das Land zerstörten.
    Im Laufe seiner Rede berichtete der Medizinmann von einem mehrere Millionen Dollar teuren Projekt der US-Regierung, im Juli auf dem Testgelände bei Las Vegas eine 700-Tonnen-Bombe deto nieren zu lassen, der man zynischerweise den Namen Divine Strake – Göttliche Planke – gegeben hatte.
    »Divine Strake ist keine Atombombe«, sagte Lalo. »Das Tückische an ihr ist jedoch, dass sie die Sprengkraft einer Atombombe besitzt.
    Die Menschen, die in der Nähe des Testgebietes leben, haben Angst, dass durch die unterirdische Detonation radioaktive Partikel von früheren Tests in die Atmosphäre geschleudert und über ein großes Gebiet verstreut werden.«
    Julia dachte an Tommy und was ihre Großmutter über die Ursache seiner Behinderung erzählt hatte. Sie konnte nicht glauben, dass die US-Regierung weiterhin diese Bombentests durchführte, ob wohl sie wusste, welche furchtbaren Konsequenzen das für die Menschen, die Tiere und das Land hatte.
    Julia begriff, dass sie für ihre Unwissenheit nicht länger ihren Va ter verantwortlich machen konnte. Wenn sie wirkliches Interesse an ihren indianischen Vorfahren gehabt hätte, dann hätte sie auch die Möglichkeit gefunden, sich zu informieren. Sie hätte ihren Großeltern schreiben können. Ihr Englisch war perfekt, denn sie war zweisprachig aufgewachsen. Sie hätte ihren Vater fragen und auf Antworten bestehen können, schließlich war sie kein Kind mehr. Stattdessen hatte sie lieber den alten Geschichten gelauscht und sich damit zufriedengegeben.
    Caleb schloss seine Rede mit dem Aufruf an jeden, in zwei Wo chen vor dem Testgelände an einem großen Protestmarsch teilzu nehmen. Danach übergab der Medizinmann das Mikrofon an Ada. Julias Großmutter trug Jeans und weiße Turnschuhe. Ein blaues Sweatshirt mit merkwürdigen

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