Die verborgene Seite des Mondes
aufrichtig, dass Julia dachte: Warum nicht? Ian war hundertprozentig ein Typ zum Vorzeigen. Ella würde hin und weg sein. Und vielleicht war ihr Kopf bis dahin auch wieder frei für Gedanken an die Liebe.
Bisher hatte Julia wenig Glück gehabt mit Jungs. Sie war erst ein mal richtig verliebt gewesen. In Lukas Rascher, einen gut aussehen den Schwimmer aus der Zwölften, der leider nicht nur ihr gefallen hatte. Damals war sie in der zehnten Klasse gewesen und fest ent schlossen, ihn zu erobern. Auf ihre fantasiereiche Art hatte sie Lu kas zu verstehen gegeben, dass sie ihn mochte. Es waren »zufällige« Begegnungen an Orten, an denen er sie nicht erwartet hätte. Kleine Gedichte, die mit L. unterzeichnet waren. Blumen auf dem Zaun vor dem Haus, in dem er wohnte.
Eines Tages erwischte Lukas sie dabei, wie sie den Zaun wieder einmal mit Blumen schmückte und Julia lief erschrocken davon. Von nun an lächelte er ihr jedes Mal wissend zu, wenn sie sich in der Schule oder in der Schwimmhalle begegneten. Julia wartete jedoch vergeblich darauf, dass er sie ansprach. Bis zur Schuljahresab schlussfeier. Während der Disco stand Lukas auf einmal vor ihr und wollte mit ihr tanzen. Sie wurde rot, aber das konnte er nicht sehen, weil überall bunte Lichter flimmerten. Lukas tanzte gut. Lukas küss te auch gut. Lukas konnte Komplimente machen, die einem den Bo den unter den Füßen wegzogen. Julia schwebte vor Glück.
Auf seinen Vorschlag hin verließen sie die Disco schon nach zwei Stunden und gingen auf die Geburtstagsparty eines Freundes von Lukas. Fast alle dort waren älter als sie und Julia wäre lieber wieder gegangen. Aber Lukas küsste sie und ihr Widerstand verschwand im Sturzbach ihrer Gefühle. Lukas brachte ihr ein süßes Mixgetränk nach dem anderen und sie bekam ziemlich schnell einen Schwips davon.
John Temoke hatte seine Tochter inständig gebeten, die Finger vom Alkohol zu lassen. Aus dem einfachen Grund, weil sie, was die Verträglichkeit betraf, genetisch benachteiligt war. Indianer besit zen geringere Mengen eines Enzyms in der Leber, das für den Ab bau von Alkohol im Körper verantwortlich ist. Julias Kater würde mindestens zweimal so schlimm sein wie der aller anderen, die ge nauso viel getrunken hatten.
Obwohl sie betrunken war, wurde Julia sehr schnell klar, was Lu kas eigentlich von ihr wollte. Seine Küsse wurden zunehmend for dernder und seine Hände waren auf einmal unter ihrem T-Shirt. Zu erst gefiel es ihr noch und sie fühlte sich ungeheuer erwachsen. Aber als sie sich dann unversehens allein mit Lukas in einem Zim mer wiederfand und seine Hände ihr wehtaten, schlug sie plötzlich um sich, biss ihn in die Hand und rannte davon.
Lukas Rascher lief eine Woche lang mit einem Verband herum und hatte sie nie wieder eines Blickes gewürdigt. Julia versprach ihrem Vater, keinen Alkohol mehr anzurühren. Genau ein Jahr war das jetzt her. Sie hatte hier und da eine Verabredung gehabt, aber etwas Ernstes war nie daraus geworden.
»Was ist denn los?«, fragte Ian. »Hörst du mir überhaupt zu?«
»Ja, klar. Ich fände es schön, wenn du mich in Karlsruhe besuchen würdest. Vielleicht kann ich ja auch mal nach Berlin kommen.«
»Wirklich?«
»Ja, warum nicht?«
Ian erzählte weiter von seinen Zukunftsplänen und dass er später irgendwann nach Hollywood gehen wollte.
Julia lächelte.
»Du glaubst mir nicht?«, fragte er gekränkt.
»Oh doch. Ich versuche nur, mir das alles vorzustellen.«
»Ja«, meinte Ian begeistert. »Das versuche ich auch.«
Simon war in Dominics Truck eingenickt und wachte erst auf, als er Stimmen hörte. Julias Lachen würde er überall sofort erkennen. Es war dunkel und rund, wie ihre Stimme.
Der junge Mann, an dessen Seite sie den Weg entlanggeschlen dert kam, war Mr Dreadlock. Wo die beiden wohl gesteckt hatten? Vermutlich bei der Geisterstadt. Simon hatte selbst im Sinn gehabt, Julia dorthin zu führen und ihr die Schönheit des Verfalls zu zeigen. Nun war ihm ein anderer zuvorgekommen.
Er war lange in Dominics Küchenzelt beschäftigt gewesen. Später hatte er nach Julia gesucht, sie aber nicht finden können. Da war sie wohl schon mit Mr Dreadlock unterwegs gewesen. Er hatte ge glaubt und gehofft, sie würde ihn ein wenig mögen. Aber vielleicht war das auch alles nur Einbildung gewesen. Unwillig starrte Simon durch die Windschutzscheibe.
Nur wenige Meter von Dominics Truck entfernt trafen Julia und Ian auf Jason und seine Freundin. Die vier blieben stehen, um
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