Die verborgene Seite des Mondes
Julia sich auf den einzigen Plastikstuhl, griff sich eines der ausliegenden Magazine und begann darin zu blättern. Simon hockte auf dem Wäschetisch und ließ die Beine baumeln. Er kramte im Geldbeutel mit den Vierteldollarstü cken und betrachtet manche eingehender. Auf die Vorderseite der Münzen war das Porträt von George Washington geprägt, dem ersten Präsidenten der USA. Auf der Rückseite der Adler. Doch die neueren Münzen hatten statt des Adlers verschiedene Prägungen, die die Eigenarten der jeweiligen Bundesstaaten darstellten.
Simon fand einen Nevada-Quarter. Im Hintergrund ging die Sonne über schneebedeckten Gipfeln auf, im Vordergrund liefen drei Wildpferde, gerahmt von Beifußstängeln.
Er ließ die Münze zurück in den Beutel fallen und fischte ein mes singfarbenes Dollarstück hervor, auf dem Sacajawea, das berühmte Shoshoni-Mädchen mit ihrem Kind abgebildet war. Simon verblüff te die Ähnlichkeit, die Sacajawea mit Julia hatte.
»Ich wusste doch, dass ich dich irgendwoher k-k-kenne.« Er reich te ihr den blinkenden Dollar.
Julia zuckte zusammen, als sie die Münze sah. Sie wurde rot und wollte Simon das Geldstück zurückgeben.
»Behalt sie«, sagte er. »Vielleicht bringt sie dir Glück.«
Sie steckte die Münze ein.
»Ihr N-ame bedeutet Vogelmädchen. Sie war so alt wie du, als sie ihr erstes Kind bekam.«
Julia blätterte weiter in ihrem Heft herum. Es war ein Magazin für Jäger. Waffen oder tote Tiere auf fast jeder Seite. Sie seufzte, schlug das Heft wieder zu und warf einen nervösen Blick auf die rumpeln den Waschmaschinen.
»Vogelmädchen, das p-p-passt auch gut zu dir.« Oh Gott, was rede te er da eigentlich? Er benahm sich wie ein Narr und Julia versuchte tapfer so zu tun, als würde sie es nicht merken.
»Ich hab nicht vor, mit sechzehn ein Kind zu kriegen wie Ainneen«, sagte sie schließlich. »Ist mir unbegreiflich, wie sie so ihr Leben wegwerfen kann.« Julia hatte Tränen in den Augen und er wusste nicht, warum.
»Wirft man sein Leben weg, wenn man K-inder hat?« Simon sah sie fragend an. Er hatte nicht vorwurfsvoll klingen wollen, er versuchte nur herauszufinden, was in Julias Kopf vor sich ging. Vor langer Zeit hatte er beschlossen, niemals Kinder zu haben, damit er nicht Gefahr lief, ihnen jemals wehzutun, wie seine Mutter es getan hatte.
»Nein, natürlich nicht«, antwortete sie bissig. »Du weißt genau, wie ich das meine. Ich verstehe ja, dass es in einem Nest wie Eldora Valley außer Sex nicht viel Spaß gibt. Aber deswegen muss man doch nicht gleich Kinder in die Welt setzen. Als ob sie noch nie et was von Kondomen oder der Pille gehört hätten. Hast du kein Mit leid mit Ainneens Kindern? Wenn man so aufwächst wie Dylan und Carli, wie soll man dann später Liebe geben können?«
Simon wandte den Kopf ab und sah aus dem Fenster. Er musste an seine Mutter denken und dass sie ähnlich überfordert gewesen war wie Ainneen. Er war so aufgewachsen wie Carli und Dylan. Konnte er Liebe geben? Simon hatte seiner Mutter bis heute nicht verziehen, was sie ihm angetan hatte. Würde er trotzdem werden wie sie?
Die Maschinen hörten kurz nacheinander auf zu rumpeln und plötzlich war es sehr still. Julia hatte ihm eine Frage gestellt und nun wurde Simon bewusst, dass sie auf eine Antwort wartete. »Ich weiß n-icht«, sagte er. »Sieht so aus, als wäre es ein Kreislauf.«
Er sprang vom Tisch und begann die Wäsche in den Trockner zu stecken.
»Draußen sind 30° C«, schimpfte Julia prompt. »Es wäre billiger und umweltfreundlicher, die Wäsche auf die Leine zu hängen.«
»Das ist nicht so einfach«, sagte Simon, ohne seine Arbeit zu unter brechen.
»Nicht so einfach? Was ist denn schwierig daran?«
Er erklärte Julia, dass Ada keine Wäscheleine besaß und keine Klammern. Dass sie manchmal ihre Wäsche zum Trocknen über den Zaun hängte. Dass Loui-Loui oder Pepper sich einen Spaß daraus machten, die Sachen vom Zaun zu holen und ihre Beute durch den Dreck zu zerren. Oder der Wind trieb Unterhosen und T-Shirts über
die Ranch, bis sie als bunte Flaggen irgendwo hängen blieben.
Julia zog ein Gesicht.
»Was hast d-u denn gedacht?«, fragte er. »Dass deine Großeltern Ökobauern sind und die p-p-perfekten Hüter der Erde? Hat dein Va ter dir das erzählt?«
Sie schüttelte beleidigt den Kopf. »Hat er nicht, aber ich habe auch nicht gefragt. Ich dachte ja nur, im Versammlungszelt, vor all den anderen, da hat meine Großmutter von Verantwortung geredet
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