Die verborgene Seite des Mondes
legte sich auf ihr Bett im Trailer und hörte Musik über ihren MP3-Player. Ville Valo sang Join me , aber in Gedanken war sie nicht bei dem finnischen Sänger, sondern bei Simon.
Bestimmt fühlte er sich furchtbar schuldig.
Es war unfair, wie Ada Simon behandelte. Er mühte sich so sehr, ih rer Großmutter alles recht zu machen. Obwohl er erst siebzehn war, trug er einen riesigen Berg Verantwortung und beklagte sich nie.
Julias tägliche Pflichten zu Hause bestanden darin, das Geschirr aus der Spülmaschine zu holen, den Mülleimer rauszutragen, einzu kaufen und ab und zu ihr Zimmer zu putzen. Wie verschieden ihr Leben von Simons Leben war. Abgesehen von seinem Bedürfnis nach Einsamkeit, schien er keine Wünsche zu haben. Sie fragte sich, was er sich für sein Leben vorstellte. Der Job auf der Ranch konnte unmöglich die Erfüllung seiner Träume sein.
Als Ville Valo zwischen zwei Liedern schwieg, hörte Julia, dass je mand an die Tür des Trailers klopfte und ihren Namen rief. Sie zog die Kopfhörer heraus und sprang aus dem Bett.
»Julia!« Lautes Klopfen. »Ich bin’s. M-ach auf!«
Erschrocken griff sie nach der Stabtaschenlampe, lief zur Tür und löste den Draht. Simon musterte Julias mit Smileys bedrucktes Nachthemd, dann schob er sie sanft, aber bestimmt nach drinnen.
»Was ist denn los?«, fragte sie. »Ist schon wieder was passiert?«
»Jason ist auf der Ranch.«
Sie hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. »Na und? Seine Großeltern leben hier.«
»Ich m-ach mir Sorgen, dass er etwas im Schilde führt. Es wäre mir lieber, du schläfst im Ranchhaus.«
Nun fing Simon auch noch damit an! Julia dachte an den Geruch von Zigarettenqualm im Haus, die Ausdünstungen von Tommys Windeln, sein nächtliches Toben und Schreien. »Ich kann da nicht schlafen.«
Simon schien einen Moment nachzudenken. »Dann bleibe ich eben hier.«
»Hier?«
Er schaute gekränkt. »Ich schlafe auch vor deiner Tür, wenn du mir nicht vertraust.«
Das klang nicht so, als ob er noch irgendwie davon abzubringen war. Trotzdem sagte Julia: »Ich glaube kaum, dass das nötig ist. Ja-son kann zwar meine Mutter nicht leiden, aber mit mir hat er keine Probleme.«
»Darum g-g-geht es doch gar nicht.«
»Worum dann?« Julia sah Simon fragend an. Er hatte Schatten un ter den Augen und es gab etwas, das ihn ernsthaft zu bedrücken schien.
»Du kennst Jason überhaupt nicht.«
Wieder musterte sie ihn aufmerksam. »Du weißt etwas über mei nen Bruder, nicht wahr? Was ist es, Simon?«
»Na ja. Er versorgt eine Menge L-eute im Ort mit Drogen.«
»Jason?«
»Hast du hier n-och mehr Brüder?« Simon verdrehte die Augen und seufzte. »Crack, Crystal-Meth, Dope, alles, was das Herz be gehrt. Er verdient g-g-ganz gut daran.«
»Weiß meine Großmutter davon?«
Simon nickte. »Sie kriegt alles mit. Auch wenn sie sich das nicht anmerken lässt.«
»Wenn sie es weiß, warum unternimmt sie dann nichts?«
»Keine Ahnung. Frag sie selbst.«
Julia rieb sich die Arme, nicht weil ihr kalt war, sondern vor Verle genheit. Simons Besorgnis schien echt zu sein und sie gab nach. »Na gut. Du kannst auf der Couch schlafen. Das Bettzeug von meiner Mutter liegt noch da.«
Simon verschloss die Tür mit dem Draht – eine leichte Übung für ihn.
»Hat Jason etwas zu dir gesagt?«, fragte Julia.
»Nein. Ich denke, er hat vom ausgebrannten K-K-Kombi erfahren und will wissen, was los ist.«
Julia setzte sich in den Sessel und zog das Nachthemd über ihre Knie. »Es tut mir so leid, Simon«, sagte sie. »Das Ganze war einfach schrecklich.«
»Na, es war ja nicht deine Schuld.«
»Aber deine war es auch nicht und du bekommst nun den ganzen Ärger ab. Warum hast du nicht gesagt, dass ich gefahren bin?«
»Weil du k-einen Führerschein hast.«
»Lass mich wenigstens deinen Strafzettel bezahlen.«
»Das hat dein Grandpa schon getan.«
Julia blickte auf, Tränen liefen über ihre Wangen.
»N-icht weinen, okay?«, sagte er hastig. »Es hätte alles viel schlim mer kommen können. Manchmal nimmt Ada Tommy mit nach Eldo ra Valley. Sie hätte es vielleicht nicht rechtzeitig geschafft, ihn aus dem brennenden Auto zu holen.«
Diese Möglichkeit war Julia überhaupt nicht in den Sinn gekom men. Nachdenklich sah sie Simon an. Immer dachte er an andere und nie an sich.
Sie entschuldigte sich dafür, dass sie im Waschsalon so ungehal ten gewesen war. »Du hast nichts falsch gemacht«, sagte sie. »Nur dass . . . mein Pa hat mich immer
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