Die verborgene Seite des Mondes
die Ebene lenkte. Der Lichtkegel der Scheinwerfer durch schnitt die Dunkelheit.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte Julia.
»Nein«, sagte Simon. Plötzlich hatte er etwas zu verlieren und Ja-son war sein Feind. Nichts war mehr einfach. »Ich w-ünschte, er wä re tot.«
»Sag so etwas nicht«, erwiderte Julia erschrocken. »Jason ist ein Vollidiot und du solltest einfach nicht auf das hören, was er von sich
gibt.«
»Ich bin aber nicht taub, v-erdammt noch mal.«
»Es macht mir nichts aus, Simon, wenn er solche Sachen sagt.«
»Mir schon.«
»Ich weiß und es tut mir unendlich leid.«
»Dir muss es nicht leidtun.«
»Doch. Er ist mein Bruder.«
»Na, dafür kannst du ja nichts. Du kennst ihn ja noch nicht mal so lange wie ich.«
Julia seufzte. »Ich weiß auch nicht«, sagte sie, »aber ich glaube, Ja-son hat vor irgendetwas Angst.«
»Angst? Wie kommst du denn darauf?«
»Keine Ahnung. Aber eben kam er mir vor wie ein in die Enge ge triebener Hund, der kurz davor war, um sich zu beißen.«
Zurück auf der Ranch, hielt Simon vor dem Trailer an und ließ Julia aussteigen. Natürlich hatte er nicht vergessen, worum er sie bitten wollte. Doch nach dem Zwischenfall mit Jason brachte er es nicht fertig, sie zu fragen.
»Gute Nacht, Simon.« Julia gab ihm einen Kuss. »Und denk einfach nicht mehr daran, okay?«
Zuerst glaubte er, sie könne Gedanken lesen, aber dann wurde ihm klar, dass sie Jason meinte und das, was er gesagt hatte. Geh nicht weg, wollte er rufen. Die Worte waren in seinem Kopf, aber er brachte sie nicht über die Lippen. Da schlug die Beifahrertür hinter Julia zu und sie verschwand in ihrem Trailer.
Am nächsten Tag beluden Boyd und Simon den Truck mit Holzpfos ten, die neben dem Schuppen unter einer Plane gelagert waren, und fuhren an ein entlegenes Ende der Ranch. Sie wollten Pfähle für eine neue Koppel setzen.
Julia sah ihnen nach, bis der Truck hinter der Biegung verschwun den war. Sie hatte am Morgen keine Gelegenheit gehabt, mit Simon allein zu sprechen. Es war offensichtlich gewesen, dass er Schwierigkeiten hatte, ihr in die Augen zu sehen.
Jasons anzügliche Bemerkungen mussten Simons tief sitzendes Gefühl der Unsicherheit noch verstärkt haben. Vermutlich litt er schrecklich und sie wusste nicht, wie sie ihm helfen sollte.
Sie sehnte sich nach Simon, wünschte, sie könnte seine Zweifel einfach wegküssen. Aber er war irgendwo im Gelände und würde wohl erst am Abend zurück sein.
Deswegen war Julia froh, ihrer Großmutter im Garten helfen zu können, die Arbeit lenkte sie ab. Sie pflanzten Tomaten, die Ada schon vor Tagen aus der Stadt mitgebracht hatte, banden die Pflan zen an Stöcke, hackten den trockenen Boden, jäteten Unkraut und schleppten Wasser heran. Der Bach, der aus den Bergen kam und bis jetzt über kleine Gräben Adas Gemüse bewässert hatte, führte kein Wasser mehr.
Wie eine Furie wütete die alte Frau in der Erde und Julia dachte, dass ihre Granny immer mit vollem Einsatz bei dem war, was sie ge rade tat. Sie kniete in der aufgeweichten Erde und ihre kräftigen Ar me waren bis zu den Ellbogen schlammverschmiert.
»Deine Mutter hat gestern Abend angerufen«, sagte Ada irgend wann beiläufig.
»Geht es ihr gut?«
»Ja. Kalifornien scheint Balsam für trauernde Witwen zu sein.«
Als Julia nichts erwiderte, hielt sie inne und sagte: »Ich hab’s nicht so gemeint.«
»Sie hat ihn geliebt«, verteidigte Julia ihre Mutter. »Aber ich habe mehr Zeit mit ihm verbracht als sie.«
»Das ist gut.« Ein warmes Lächeln zeigte sich auf Adas Gesicht. »Dann ist er in dir und du wirst ihn nie verlieren. Bald wirst du mer ken, welchen Einfluss seine Liebe auch weiterhin auf dein Leben ha ben wird.«
Julia holte tief Luft, als sie ein jäher Schmerz durchzuckte. Sie war jetzt seit zwei Wochen auf der Ranch ihrer Großeltern und hatte ih ren Vater in keiner Minute vergessen. Aber sie war auch nicht mehr von dieser lähmenden schwarzen Trauer erfüllt, die sie in den ers ten Tagen nach seinem Tod gefangen gehalten und jegliche Freude unmöglich gemacht hatte. Die Zeremonie in den Bergen hatte ihr geholfen, Abschied zu nehmen. In ihren Gedanken blickte Julia oft zurück, aber noch häufiger wünschte sie, die Zukunft sehen zu kön nen.
»Du musst dich nicht dafür schämen, dass du wieder lachen kannst«, sagte Ada. »Lachen ist das beste Heilmittel.«
»Ach, Granny, ich vermisse ihn so.«
Ada kam auf Knien herangerutscht und umarmte Julia fest. »Ich
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