Die verborgene Seite des Mondes
nicht zu stören. Er sah sie an, jetzt mit einem Strahlen im Gesicht, wie sie es noch nie zuvor bei ihm gesehen hat te.»Hey«, sagte sie. »Schau mich nicht so an.«
»Wo soll ich denn sonst hinschauen?«, fragte er, ehrlich verwun dert.
Da lachte sie.
Sie kniete sich vor ihn und legte ihre Finger auf seine Augen. Dann gab sie ihm einen langen Kuss. Simons sehnsüchtige Hände umfass ten ihre Brüste. Er streichelte sie sanft und mit einer so ehrfürchti gen Scheu, dass ihr ganz schwindlig wurde. Und so unwirklich alles auch schien: Julia war vollkommen überwältigt von ihrer Liebe zu diesem Jungen, den sie erst so kurze Zeit kannte.
Simon griff nach ihren Handgelenken und nahm langsam ihre Hän de von seinen Augen. Wie dunkel sie waren, fast schwarz, sodass Ju lia die Pupillen kaum erkennen konnte. Als er sie zu sich heranzog, um sie noch einmal zu küssen, schloss sie ihre Augen, weil sein Blick so ungehindert in ihr Inneres vordrang, dass sie glaubte, es nicht länger aushalten zu können.
»Du frierst ja«, sagte er auf einmal besorgt. »Ist dir kalt?«
Julia hatte tatsächlich eine Gänsehaut und nun spürte sie auch den Wind, der über ihre nasse Haut strich und sie frösteln ließ.
»Ein bisschen. Ich bin ja auch schon eine Weile drin. Aber wir kön nen heißes Wasser zulaufen lassen.« Sie griff nach dem weißen Rohr, doch Simons erschrockener Blick ließ sie innehalten. Es mochte Jahre her sein, aber die Panik vor heißem Wasser war ihm ganz offensichtlich geblieben.
»Mach du das, okay?«
Simon ließ vorsichtig heißes Wasser zulaufen und zum ersten Mal betrachtete sie offen das Ausmaß seiner Verbrennung. Ein Stück Hals, die ganze Schulter und der Oberarm waren von wulstigem Narbengewebe überzogen.
»Sie ist hässlich«, sagte er verlegen, als er ihren Blick spürte.
»Du bist schön«, entgegnete Julia. Das stimmte. Sogar die Narbe hatte eine gewisse Schönheit an sich, denn sie war ein Teil seines Wesens. Das war verrückt. Oder war es Liebe?
Simon hob den Kopf und Julia merkte, wie er mit seinem unter schwelligen Misstrauen kämpfte. Aber das Vertrauen siegte.
»Und du spürst sie wirklich nicht mehr?«, fragte sie.
»Manchmal spannt das Narbengewebe.«
Simon tauchte unter. Vermutlich hatte er genug von der unge wohnten Aufmerksamkeit, die seinen Körper betraf. Weil Simon Wasser in den Ohren hatte, war Julia die Erste, die das Motorenge räusch hörte. Der braune Truck quälte sich keuchend den steilen Berg hinauf. Mit einem Satz war sie aus der Wanne, rubbelte sich notdürftig trocken und schlüpfte in ihre sauberen Sachen.
19.
U nterdessen brauchte Simon einen Moment, bis er begriff, was los war. Doch dann hörte auch er das Motorengeräusch und sprang aus dem Wasser.
Als der Pick-up neben der Badestelle zum Stehen kam, waren Julia und er zwar vollständig angezogen, aber furchtbar verlegen.
Die alte Frau schien davon nichts zu merken. Wenigstens tat sie so. Ada verlor kein Wort über die Tatsache, dass sie beide zusam men hier oben an der Badestelle waren.
»Gut, dass du da bist«, sagte sie zu Simon, der sein Hemd in der Ei le falsch geknöpft hatte. »Tommy muss gebadet werden.«
Verdammt schlechtes Timing , dachte er und fühlte sich, als hätte er eine eiskalte Dusche abbekommen.
Simon holte Tommy vom Beifahrersitz und setzte ihn ins Gras. Dann füllte er den kleinen Zinkbottich neben der Wanne mit war mem und kaltem Wasser, prüfte mehrmals die Temperatur, bis er das Gefühl hatte, dass sie genau richtig war. Dann befreite er Tom my von seinen klebrigen Shorts und den Windeln. Der Junge stieß unartikulierte Laute aus, während Simon beruhigend auf ihn einre dete. Der Wind hatte zugenommen und brachte feinen Sandstaub mit sich. Tommy lief eine Gänsehaut über den Rücken.
»Hey, Tommy, mein Freund, ich weiß ja, dass du nicht gerne ba dest. Aber es muss sein. Du hattest die Windeln voll. Na komm, das Wasser ist schön warm.«
Er trug Tommy zum Bottich und setzte ihn hinein. Ada füllte die große Wanne mit frischem Wasser, unterdessen wusch er den Jungen. Tommy führte sich auf wie ein Verrückter. Er biss in seine Unterarme, schlug sich mit den knotigen Händen vor die Brust und vor den Kopf. Julia war das erste Mal dabei, als ihr behinderter Cousin gebadet wurde, und Simon merkte, dass sie von Tommys Nacktheit unangenehm berührt war.
Es war ja auch nicht fair. Tommy konnte sie nicht sehen, aber sie sahen ihn vollkommen entblößt. Seinen verwachsenen, verspann
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