Die verborgene Seite des Mondes
ten braunen Körper, in dem so ein starker Überlebenswille steckte. Unvermittelt hielt Tommy inne in seinem Geschrei und sah Julia mit seinen blinden Augen an. Er wusste, dass sie hier war, daran gab es für Simon keinen Zweifel. Wie auch immer seine Sinne funktionier ten, er wusste , dass Julia da war.
Simon hob den Jungen aus dem Bottich, rubbelte ihn behutsam trocken und windelte ihn. Dann zog er ihm saubere Shorts an, nahm ihn huckepack und setzte ihn zurück in den Truck.
»Bringt ihn nach Hause«, sagte Ada. »Boyd soll mich in einer Stun de hier oben abholen.«
Mit Tommy in der Mitte fuhren sie auf die Ranch zurück. Er roch sauber, und als seine knotige Rechte nach Julias Hand griff, überließ sie sie ihm. Er war friedlich und schrie kein einziges Mal. Bis Simon ihn im Ranchhaus an den Küchentisch setzte und er sein forderndes »Ba ba ba« anstimmte, was bedeutete, dass er hungrig war.
An diesem Abend saßen alle zusammen in der Küche und Ada er zählte Geschichten von früher, als John und seine Schwester Sarah noch Kinder waren. Der Grund für ihre Erzähllaune waren mögli cherweise die alten Fotos, die Simon am gestrigen Abend ungewollt in der Küche verteilt hatte und die jetzt auf dem Tisch lagen.
Er kannte die meisten Fotos nicht und sie interessierten ihn, ge nauso wie Adas Geschichten aus alten Zeiten. Doch viel brennender interessierte ihn Julia. Ihre Brüste hatten einen unauslöschlichen Eindruck in seinen Handflächen hinterlassen und er konnte an nichts anderes denken, als daran, endlich mit ihr allein zu sein.
Doch ausgerechnet heute schien Julia nicht müde zu werden und hörte auch nicht auf, ihrer Großmutter Fragen zu stellen. Fragen, die Ada überraschend bereitwillig beantwortete. Simons absurde Hoffnung, dass auch Julia mit ihm allein sein wollte, schwand, je später es wurde, und irgendwann gab er sie resigniert auf.
Julia entging nicht, wie Simon unruhig auf seinem Stuhl hin-und herrutschte. Die Sehnsucht in seinen Augen ließ ihre Wangen erglü hen und sie hoffte, ihre Großmutter würde es nicht bemerken.
Ihr Inneres war in Aufruhr und sie wusste nicht, was sie wollte. Deshalb stellte sie ihrer Großmutter immer neue Fragen, um das Ende des gemeinsamen Abends hinauszuzögern. Aber auf die Ant worten konnte Julia sich nicht konzentrieren. Immerfort musste sie daran denken, was in Simons Kopf vorging.
Mit ihrem Vater hatte sie ganz offen über Sex gesprochen und er hatte sie mit Informationen über Jungen versorgt. »Wenn du dir nicht sicher bist«, hatte er zu ihr gesagt, »dann sag Nein . Und was das Wichtigste ist: Beim ersten Mal sollte es einer sein, den du wirk lich gern hast.« Seine Worte kreisten in ihrem Kopf.
War sie sich sicher? Ja. Nein. Ja . Das war ein Raum, in den sie gera de erst eintrat. Er war so gut wie leer, weil sie kaum Erfahrungen hatte. Es gab nichts, woran sie sich festhalten konnte, nichts, was ihr vertraut war.
Musste man jemanden lange kennen, um zu wissen, dass man ihn wirklich mag? Sie war Simon erst vor ein paar Tagen begegnet, aber es kam ihr so vor, als würde sie ihn schon ewig kennen. Als würde sie ihn schon eine lange Zeit lieben.
Kurz vor Mitternacht gingen die beiden Alten endlich zu Bett. Si mon und Julia machten sich auf den Weg, um ebenfalls schlafen zu gehen. Draußen nahm er ihre Hand. In der anderen hielt Simon sei ne Taschenlampe, mit der er den Weg ausleuchtete. Pepper, der vor dem Zaun auf sie gewartet hatte, trottete ihnen hinterher.
Der Wind hatte sich gelegt, es war warm und drückend. Donner grummelte in der Ferne und die Luft war aufgeladen mit elektrischer Spannung. Manchmal wurde der Horizont von Wetterleuchten erhellt, sodass das Relief der Berge mit überwältigender Klarheit zu sehen war.
Als Simon mit Julia an jene Stelle kam, an der sie sich bisher immer getrennt hatten, hielt er ihre Hand sehr fest. Simon erstickte beina he an seinen Gefühlen. Er hatte Angst, Julia könnte sich plötzlich als Wunschgebilde erweisen und in Luft auflösen.
»Kommst du n-och mit zu mir?«, stieß er hervor. Das war alles, was von seinen sorgfältig zurechtgelegten Worten übrig geblieben war.
Julia zögerte. Nur kurz, aber das genügte, um Simon noch mehr zu verunsichern, als er es ohnehin schon war. Er wollte etwas sagen, das dem Ganzen die Spannung nahm, doch da zog sie plötzlich ent schlossen an seiner Hand, zog ihn zu seinem Wohnwagen.
Drinnen, in der warmen Höhle der Dunkelheit, holte er sie zu sich heran und
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