Die verborgene Seite des Mondes
kennenlernen. Was es in Jason auslösen würde, war nicht vorhersehbar. Ich konnte ja nicht ahnen, dass du und Simon . . .«
»Wieso eigentlich nicht?«, rief Julia. Sie war wütend, verwirrt und besorgt zugleich. »Denkst du, er verdient es nicht, geliebt zu wer den? Weil er stottert?«
»Nein, zum Teufel. Aber irgendwie hatte ich angenommen, er . . . nun ja, ich dachte, er interessiert sich nicht für Mädchen.«
»Wie soll er auch«, sagte Julia, »wenn er immer gleich verhöhnt wird, kaum dass er den Mund aufmacht. Simon mag mich und er in teressiert sich für viele Dinge. Hast du ihn schon mal gefragt, was er gerne liest? Oder was er sich wünscht und wovon er träumt? Denkst du, es ist im Winter angenehm dort drüben im Wohnwagen, ohne Heizung? Simon tut alles für euch, weil er dich und Grandpa gern hat. Aber du weißt nicht mal, wer er ist.«
Zu Julias Überraschung widersprach ihre Großmutter nicht. »Du hast recht«, sagte Ada. »Nur habe ich nicht mehr die Kraft, den Lauf der Dinge zu ändern.«
Julia riss die Arme nach oben. »Aber du fliegst nach New York und Los Angeles, um vor den Menschen zu reden. Du verhandelst mit Anwälten und verfasst Klageschriften für die UNO. Du fährst meilen weit, um mit anderen auf die Straße zu gehen und gegen Waffen tests zu demonstrieren. Dafür braucht es viel mehr Kraft, als zu je mandem wie Simon freundlich zu sein.«
Die alte Frau wischte sich Tränen aus dem Gesicht. »Ich tue, was getan werden muss. Das verstehst du nicht.«
» Was verstehe ich nicht? Ich bin fünfzehn Jahre alt und nicht auf den Kopf gefallen. Was verstehe ich nicht, Granny?«
»Ich wünschte, Simon wäre mein Enkelsohn«, sagte Ada hart, »aber er ist es nicht. Er gehört nicht zur Familie und wird immer ein Fremder sein.« Sie erhob sich und Julia wusste, dass das Gespräch damit beendet war.
Noch warteten mindestens hundert Handzettel darauf, gefaltet zu werden, aber das war ihr egal. Julia holte eine Flasche Wasser und ein Mountain Dew aus dem Kühlschrank, dazu ein paar Sandwichs, und verließ das Ranchhaus.
Nur mit seinen Jeans bekleidet, einen Arm über den Augen, lag Si mon auf der Couch. Sein Schädel brummte, die Nase war zuge schwollen und er hatte das Gefühl, als würden sämtliche Organe nicht mehr am richtigen Platz sitzen.
Als Julia in den Wohnwagen kam, versuchte er sich aufzurichten, doch der heftige Schmerz schickte seinen Körper zurück in die Waagerechte.
Julia schloss die Tür hinter sich. Sie setzte sich neben Simon, betrachtete sein geschundenes Gesicht und die brombeerfarbenen Flecken auf seinem Körper. »Alles ist meine Schuld«, sagte sie und ließ den Kopf hängen. »Ich hätte nicht herkommen dürfen. Ich hätte mit meiner Mutter nach Kalifornien fahren sollen. Du und ich, wir hätten nicht . . .« Sie begann leise zu schluchzen.
Was redet sie da bloß?, dachte Simon erschrocken. Eine Menge Din ge liefen falsch in letzter Zeit und manchmal war er sich seiner selbst nicht mehr sicher. Aber Julia und er, das war das Einzige, was gut und richtig war.
Simon wollte Julia nicht verlieren. Er hatte solche Angst davor, dass es passieren könnte. Zum ersten Mal in seinem Leben wollte er etwas so sehr, dass es wehtat, es nicht zu bekommen.
Unter stechenden Schmerzen setzte er sich auf und griff mit der Rechten nach ihrer Hand. »Sag so etwas n-icht, okay? Du machst mir Angst.«
»Aber es ist wahr. Ich bin an allem schuld. An Peppers Tod und da ran, dass Jason dich so fürchterlich verprügelt hat.«
Simon sah sie überrascht an und Julia zuckte mit den Achseln. »Granny weiß alles. Frank hat angerufen.«
Er sackte mit einem hoffnungslosen Seufzer in sich zusammen. »Hat sie was gesagt? Ich meine . . . was mich angeht.«
»Nein. Sie ist sauer auf Jason, das ist alles.« Julia knetete seine Hand. »Und wie soll es nun weitergehen?«
Simon hob die rechte Schulter. »In ein paar Tagen fliegst du zu rück nach Deutschland und Jason wird sich beruhigen. Ich arbeite für Ada und Boyd bis zum bitteren Ende.«
Julia sah ihn mit großen Augen an. »Was soll das heißen: bis zum bitteren Ende?«
»Das kann vieles heißen. Deine Großeltern sind alt, Julia. Abgese hen davon haben wir schon jetzt nicht mehr genügend Rinder, um damit über den Winter zu kommen. Vielleicht lässt das BLM die Ranch zwangsversteigern und das war’s dann.«
»Das klingt schrecklich.« Julia schluckte. »Aber was wird dann aus dir?«
»Mach dir mal um mich keine Sorgen. Ich k-omme
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